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Deutschland und die Abhängigkeit von russichem Gas

Seit über zwei Monaten herrscht Krieg in der Ukraine. Die wirtschaftlichen Folgen machen sich im Westen bemerkbar. Die Heizkosten steigen an und der Sprit ist teuerer als je zuvor. Wie setzen sich die Preise zusammen und was erwartet Deutschland in Zukunft?

Rekordpreise: Benzin- und Gaspreise auf historischem Höchststand

Bereits vor der russischen Invasion in die Ukraine stiegen die Gas- sowie Ölpreise an. Aktuell bezieht Deutschland unter anderem Kohle, Öl und Gas aus Russland. “Die aktuellen Sanktionen gegen Russland aufgrund des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs gegen die Ukraine betreffen nicht den Import der fossilen Energieträger Erdgas, Erdöl und Steinkohle”, erklärt das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. Eine physische Knappheit gibt es nicht. Trotzdem brechen die Preise für Tanken, Heizen und Co. Rekorde.

Prof. Dr. Karen Pittel ist Leiterin des ifo Zentrums für Energie, Klima und Ressourcen. Außerdem ist sie Professorin für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Energie, Klima und erschöpfbare natürliche Ressourcen an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Sie erklärt, dass in den Preisschwankungen und Erhöhungen vor allem die Erwartungen für die Zukunft stecken.

Corona, ein langer Winter und die Angst vor dem Unbekannten

Laut Frau Dr. Pittel seien die Preissteigerungen zum einen durch die Erholung der Coronkrise getrieben. Nachdem das Angebot durch die Pandemie heruntergefahren war, steige aktuell wieder die Nachfrage. Vor allem steckt in den Preisen aber die Vermutungen, was in der Ukraine passieren könnte. “Die Sorge um die Zukunft und der darauffolgende Krieg führte schließlich zu Angst auf den Märkten, dass die Lieferungen aus Russland untergehen oder gar eingestellt werden könnten”, erklärt sie. Sobald neue Nachrichten die Runde machen, verändert sich der Preis massiv. “Die Märkte sind wahnsinnig nervös”, stellt die Professorin fest. Sobald es Veränderungen gibt, spiegeln sich diese in den Preise wider. Das sind die Preise, die für den nächsten oder übernächsten Monat kontrahiert, also erhandelt, werden.

Laut des Bundesministerium für Wirtschaft und Energie habe auch ein längerer und kälterer Winter 2020/2021 den Preisanstieg für Gas, Kohle und Öl mit bewirkt. Außerdem hätten Gasexporteure in ihrem Heimatmarkt eine gestiegene Nachfrage bedienen müssen. Dadurch verringert sich die Menge für den Export. Dies führt zu einer deutlichen Verteuerung des fossilen Energieträgers. In Europa ist dieser Effekt besonders deutlich zu spüren.

Flüssiggas als Ersatz von russischem Erdgas

Seit einigen Monaten beziehe Europa laut Dr. Pittel mehr Flüssiggas aus anderen Ländern und weniger russisches Erdgas. Das sei kostspieliger für die Bundesrepublik Deutschland. Für das Flüssiggas müssen neben Transportkosten auch die Verflüssigung und Rückvergasung berechnet werden. Der Hauptlieferant von Flüssiggas für Europa sei aktuell laut der Professorin die USA. Aber auch Katar und Australien seien wichtige Lieferanten.

Deutschland besitzt aktuell kein eigenes Terminal für Flüssiggas. Das Gas kommt in Europa an, wird dort regasifiziert und an die einzelnen Länder verteilt. Die meisten Mittelmeerstaaten besitzen Regasifizierungsterminals und senden es von dort aus unter anderem nach Deutschland. Aufgrund des bestehenden Pipelinenetzes und letztlich begrenzten Terminalkapazitäten ist das kurzfristige Ersetzen von russischem Erdgas durch Flüssigerdgas eine Herausforderung.

Die Abhängigkeit Deutschlands von russischem Gas

Deutschland importiert etwas 60 Prozent seines Energieverbrauchs. Die Rate für Öl, Gas und Steinkohle liegt zwischen 94 Prozent und 100 Prozent. Etwa die Hälfte der deutschen Importe von Gas und Steinkohle, sowie ein Drittel der Ölimporte stammen aus Russland.

 Öl GasKohle (Braun und Stein)NuklearErneuerbarAndereTotal
ThW1077905606209545453387
Prozent (in%)31.826.717.96.216.11.3100
Davon aus Russland34%55%26%0%0%0%30%
Quelle: Agora Energiewende (2022); Eckert and Abnett (2022) eigene Darstellung

Erdgas wird in der deutschen Wirtschaft vor allem in der Industrie mit 36 Prozent, in Haushalten mit 31 Prozent und im Gewerbe sowie im Handel v.a. zum Heizen mit 13 Prozent eingesetzt. In der Industrie werden etwa dreiviertel des Gases zum Heizen und Kühlen genutzt. Der Gasverbrauch für die Stromerzeugung ist vergleichsweise gering. Importiertes Erdöl wird vor allem in Form von Benzin und Dieselkraftstoffen verwendet. Deutschland importiert 100 Prozent der genutzten Steinkohle, davon 45 Prozent aus Russland. Steinkohle wird hauptsächlich in der Stahlindustrie sowie zur öffentlichen Stromerzeugung genutzt.

Steinkohlebergwerk. Quelle: Pixabay

Kein Embargo – Deutschland will trotzdem unabhängig von russischem Gas werden

Dass Deutschland als Sanktion gegen Russland den Energieimport stoppt sei keine Option laut dem BMWI: “Deutschland ist wie auch viele weitere EU-Länder – und anders als zum Beispiel die USA – in hohem Maße abhängig von Einfuhren dieser Energieträger aus Russland. Die Abhängigkeiten sind aktuell hoch. Ein Energieembargo dürfte daher zu hohen wirtschaftlichen Schäden für die Bevölkerung und Unternehmen führen.”

Gleichzeitig arbeite die Bundesregierung mit ihren Partnern innerhalb der Europäischen Union und darüber hinaus seit Monaten mit Hochdruck daran, Energieimporte zu diversifizieren und die Abhängigkeit von russischen Energieimporten zu reduzieren. Die Sorge, dass sich die Situation in der Ukraine zuspitzen könnte sorgte bereits seit längerem für ein Umdenken in der europäischen Politik. Außerdem soll Deutschland in Zukunft nicht mehr so abhängig von einem einzelnen Lieferanten sein. “Das geht aber nicht von heute auf morgen”, so das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. Norwegen ist ein weiterer Gasexporteur und liefert durch seine drei großen Pipelines rund 120 Milliarden Kubikmeter Erdgas nach Europa. Die Menge wird nicht ausreichend sein, um für alle Länder eine Alternative bieten zu können.

Importstopp von Gas – Worst Case Szenario oder Sprungbrett für Alternativen

An einen Lieferstopp Russlands glaubt Frau Prof. Pittel nicht. „Russland hat im letzten Jahr insgesamt Warengüter, Rohstoffe und Co. im Wert von ca. 430 Milliarden exportiert und davon waren ca. 210 aus Erdöl und Erdgas”, erklärt sie. Für Russland war der Export von Erdöl bislang wichtiger als Erdgas. Deutschland hingegen sei von dem Erdgas abhängig.

Im Fall eines Importstopps kann Öl sowie Kohle aus anderen Ländern importiert und ersetzt werden. Die Situation auf dem Gasmarkt gestaltet sich schwieriger. “Es gibt nicht so viele Ersatzmöglichkeiten, wie es sie im Bereich Erdöl gibt“, so die Professorin. Sollten die Gaspreise anders als die Kohlepreise stark ansteigen, wird Deutschland Erdgas durch Kohle ersetzen. Wenn wir weder Lieferungen von Kohle noch Erdgas aus Russland erhalten, können wir die Lücke bis zum nächsten Winter laut Prof. Pittel voraussichtlich nicht ganz schließen. Trotzdem muss sich Deutschlands Bevölkerung keine Sorgen machen nächsten Winter frieren zu müssen. Es gibt einen Erdgas-Notfallplan, der besagt, dass Haushalte bevorzugt beliefert werden. Haushalte werden als erstes versorgt, danach die Industrie.

Atom- und Kohlekraftwerke nur “eine Versicherung”

Atomkraftwerk. Quelle: Pixabay

Laut der aktuellen Studie von Bruegel (2022) “Preparing for the first winter without Russian gas”, werde es möglich sein, die Nachfrage in den bereichen Stromerzeugung, Verkehr und Heizung in der EU zu decken, sollte russisches Gas keine Option mehr darstellen. Sofern ein Land genug Steinkohle hat, kann der Strom damit erzeugt werden. Sollte nicht genug Steinkohle vorhanden sein, weil es Lieferengpässe aus Russland gäbe, würde man Gas vor allem durch Braunkohle ersetzen. Die Braunkohle wäre für das Klima die ungünstigere Option.

„Atomkraftwerke sind eine Versicherung. Der darin produzierte Strom ist vergleichsweise kostengünstig”, so Pittel. Jedoch sei diese Alternative der Stromgewinnung die letzte worst case Lösung. Auch die Kohlekraftwerke könnte man theoretisch in Zukunft noch weiter auslasten”, sagt Frau Prof. Pittel.

Erneuerbare Energien: Der Schlüssel zur Unabhängigkeit?

Ein wichtiger Faktor für eine Energie-Souveränität sei der Ausbau der Erneuerbaren Energien. Laut BMWi sei das eine Frage der nationalen und europäischen Sicherheit. Nur mit eigenen und erneuerbaren Energien, kann sich die europäische Union bzw. Deutschland unabhängig von Energieträgern und somit von Lieferanten machen. Wenn genügend Strom aus deutscher Wind- oder Solarenergie gewonnen werden kann, ist die Bundesrepublik nicht auf Erdgas und Kohle aus Russland angewiesen. Das stärkt eine politische, sowie existenzielle Unabhängigkeit. Deshalb treibe die Bundesregierung den Ausbau mit hoher Entschlossenheit voran. Langfristig könne der verstärkte Einsatz erneuerbarer Energien und die Verbesserung der Energieeffizienz erheblich zur Senkung der Energienachfrage beitragen.

Lieferanten erneuerbarer Energie sind in Deutschland aktuell noch nicht genug ausgeweitet, um als einzige Quellen zu dienen. Der Ausbau von Windrädern und Solaranlagen ist deshalb in Zukunft einer der wichtigsten Schritte. Maßnahmen wie das Verringern des Mindestabstands von Windrädern zueinander sind bereits in Planung. Dadurch ist es möglich mehr Fläche für den Ausbau von Windenergie zu nutzen.

Die aktuelle Situation zeigt, dass es wichtig ist, die erneuerbaren Energieträger auszubauen, um als Nation unabhängiger von einzelnen Ländern zu sein. Seit des Ukraine Konflikts setzt sich die deutsche Politik noch intensiver mit eigener, grüner Energie auseinander als zuvor. Für die Zukunft von Wind- und Solarenergie könnte das einen entscheidenden Antrieb ausgelöst haben.

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