Rainforest Alliance Siegel, Credits: Fiona Schrafl
21. Oktober 2025
Rainforest-Alliance-zertifiziert! Doch was bedeutet das? Peter Lerch im Interview

Peter Lerch ist Kaffeeexperte, Qualitätsprüfer und seit 2022 als Kundenbetreuer für die Rainforest Alliance im DACH-Raum tätig. Die 1987 gegründete gemeinnützige Organisation setzt sich für den Schutz des Regenwaldes ein, um die Folgen der Klimakrise abzumildern – eine Aufgabe, die letztlich die gesamte Menschheit betrifft. Im Gespräch mit befootec gibt Peter Lerch Einblicke in seine Arbeit sowie die Projekte der Organisation und erklärt, wie Nachhaltigkeitssiegel sowohl der Umwelt als auch den Menschen zugutekommen.
Wie sieht die Arbeit von Nachhaltigkeitsorganisationen in der Praxis aus?
Lerch: Als größte von der Rainforest Alliance zertifizierte Kaffeeplantage in Costa Rica ist Aquiares ein gutes Beispiel, mit der wir seit 20 Jahren zusammenarbeiten. Dort wurde in nachhaltige Landwirtschaft investiert und mehr als 50.000 Bäume gepflanzt – mit dem Ergebnis, dass sich nicht nur die Kaffeequalität und die Erträge verbessern, sondern auch das gesamte Ökosystem. Über 100 Vogelarten wurden hier noch nie gesichtet, bevor Aquiares die Zusammenarbeit mit unserer Organisation aufnahm. Solche Projekte zeigen, dass langfristige Nachhaltigkeit funktioniert.
Nach außen sichtbar ist explizit das Frosch-Siegel. Was bedeutet Rainforest-Alliance-zertifizierter Kaffee?
Lerch: Das Siegel steht für nachhaltig angebauten Kaffee, der sowohl ökologische und soziale als auch wirtschaftliche Standards erfüllt. Als Symbol für unser Siegel haben wir den Rotaugenlaubfrosch gewählt, weil Frösche Bioindikatoren sind – eine gesunde Froschpopulation weist auf ein gesundes Ökosystem hin. Insgesamt sind es über 150 Kriterien, die eine Kaffeefarm für eine Zertifizierung erfüllen muss. Beispielkriterien sind: das Verbot von Entwaldung, Wasserschutz, faire Arbeitsbedingungen, Schulungen für Bauern und der Zugang zu besseren Märkten. Es geht aber nicht nur um ein Logo, sondern um langfristige Verbesserungen.
Wie verläuft der konkrete Weg einer Zertifizierung?
Lerch: Farmen oder Kooperativen melden sich bei unserem Programm an und erhalten Schulungen zu nachhaltigen Anbaumethoden. Danach folgt eine umfassende Betriebsbewertung. Externe, unabhängige Auditoren überprüfen schließlich vor Ort, ob die Farm unsere Kriterien erfüllt. Das Audit dauert in der Regel mehrere Tage und findet jährlich statt. Werden alle Standards eingehalten, erhält die Farm das Zertifikat – zunächst für drei Jahre, aber mit jährlicher Kontrolle. Werden Verstöße festgestellt, muss die Farm nachbessern oder verliert die Zertifizierung.
Wie stellen Sie unabhängige Kontrollen sicher?
Lerch: Die Auditoren sind zertifiziert und prüfen nicht nur in unserem Auftrag. Alle zertifizierten Farmen und Unternehmen werden jährlich von diesen unabhängigen Stellen auditiert. Zusätzlich zu den regelmäßigen Audits führt jede Zertifizierungsstelle bei 10% ihres Portfolios unangekündigte Audits durch. Besonders sensibel kontrolliert werden die Themen Landnutzung und Entwaldung, Arbeitsbedingungen und Kinderarbeit sowie der Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln – Verstöße führen zur Aberkennung der Zertifizierung. Dank neuer Technologien wie Satellitenbildern und digitalen Risikobewertungen können wir die Einhaltung der Standards noch genauer überwachen.
Inwiefern profitieren Kaffeebauern von der Zertifizierung?
Lerch: Neben besseren Umwelt- und Arbeitsstandards erhalten zertifizierte Betriebe einen Preisaufschlag auf ihren Kaffee, den sogenannten Nachhaltigkeitszuschlag. Dieser liegt derzeit bei etwa 200 US-Dollar pro Tonne – ist aber nicht festgelegt, sondern marktgetrieben. Wichtiger als das Geld ist für viele Bauern jedoch das verbesserte Farmmanagement. Sie lernen in unseren Schulungen, nachhaltiger und klimabewusster zu wirtschaften, Ressourcen effizienter zu nutzen und wettbewerbsfähig zu bleiben.
Welche Optionen gibt es zur finanziellen Unterstützung bei einer Zertifizierung?
Lerch: Die Rainforest Alliance selbst finanziert keine Zertifizierungen und Farmen, aber wir helfen, Kooperativen mit Händlern und Röstern zu vernetzen, die Zertifizierungen unterstützen. Viele große Röster möchten nachhaltigeren Kaffee kaufen und übernehmen oft die Kosten für eine Zertifizierung. Zudem arbeiten wir mit Banken und NGOs zusammen, um Finanzierungsmöglichkeiten zu schaffen. Wir setzen uns auch dafür ein, dass Kleinbauern Zugang zu Krediten erhalten, um nachhaltiger wirtschaften zu können.
Was unterscheidet die Rainforest-Alliance-Zertifizierung vom Fairtrade-Siegel?
Lerch: Grundsätzlich setzen beide auf soziale, wirtschaftliche und ökologische Nachhaltigkeit, jedoch mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Fairtrade fördert faire Arbeitsbedingungen, existenzsichernde Löhne und Gemeinschaftsprojekte durch eine zusätzliche, festgelegte Prämie. Die Rainforest Alliance hingegen, legt mehr Fokus auf Umwelt- und Klimaschutz sowie nachhaltige Anbaumethoden. Auch hier gibt es eine Prämie, allerdings ist diese nicht festgelegt, sondern marktabhängig. Viele Produzenten sind für beide Zertifizierungen qualifiziert, da sie sich ergänzen. Welche besser passt, hängt von den Marktanforderungen der Händler und Konsumenten ab.
Warum stehen große Konzerne wie Nestlé oft in der Kritik, obwohl sie mit Ihnen zusammenarbeiten?
Lerch: Große Konzerne wie Nestlé stehen als globale Akteure besonders stark im Fokus der Öffentlichkeit. Der kritischen Diskussionen um sie sind wir uns bewusst und nehmen diese ernst. Deshalb stellen wir durch unabhängige Audits, Transparenz und klaren Anforderungen sicher, dass Nachhaltigkeitsversprechen nicht nur Worte bleiben, sondern in messbare Fortschritte umgesetzt werden. Unsere Rolle ist es, Unternehmen in die Verantwortung zu nehmen, strenge Standards durchzusetzen und kontinuierliche Verbesserungen im sozialen, ökonomischen und ökologischen Bereich zu fördern und zu fordern. Unsere langjährige Partnerschaft mit Initiativen wie dem Nescafé Plan und dem Nespresso AAA Sustainable Quality™ Program basiert auf der Überzeugung, dass echter Wandel nur durch aktive Zusammenarbeit erreicht werden kann.
Was sind die größten Herausforderungen in Ihrer Arbeit?
Lerch: Eine der größten Herausforderungen ist, Nachhaltigkeit im großen Stil umzusetzen, ohne die Kleinbauern zu überfordern. Regulierungen wie das Entwaldungsgesetz oder Lieferkettengesetze schaffen neue Anforderungen, die wir in unsere Standards integrieren müssen. Gleichzeitig dürfen die Kosten für die Bauern nicht zu hoch werden. Kaffee ist sehr wetterabhängig. Steigende Temperaturen und Wetterextreme zwingen Bauern dazu, höher gelegene Anbauflächen zu erschließen oder widerstandsfähigere Kaffeesorten zu nutzen. Wir unterstützen sie dabei, etwa durch Agroforstsysteme, die Schatten und Feuchtigkeit spenden, und nachhaltige Bodenbewirtschaftung.

Bei Ihren Reisen und Projekten erleben Sie das Leben und Arbeiten in Ländern des Kaffeegürtels hautnah. Sind die Bedingungen dort für Farmer tatsächlich so schlecht, wie oftmals öffentlich berichtet wird?
Lerch: Das hängt stark vom Land ab. Brasilien und Vietnam dominieren den Weltmarkt, sind aber hoch industrialisiert. Costa Rica verfolgt ein einzigartiges Modell, bei dem alle Beteiligten, vom Bauern bis zum Exporteur, am Gewinn beteiligt werden. Die letzten Jahre waren für viele Bauern hart, vor allem wegen niedriger Preise. Heute sind die Preise für Rohkaffee historisch hoch, was vielen Farmern hilft. Aber das Problem bleibt, dass Kaffeeanbau oft wenig profitabel, anstrenngend und unsicher ist. Besonders bedroht ist Kaffee durch den Klimawandel. Studien zeigen, dass bis 2050 bis zu 50 % der Anbauflächen verloren gehen könnten. Deshalb müssen wir nachhaltige Methoden fördern, um die Zukunft des Kaffees zu sichern.
Zertifizierungen stehen immer wieder in der Kritik, nur minimale Standards zu setzen. Die Rainforest Alliance bekennt auch öffentlich, nur einzelne Schritte zu einer „besseren Welt“ beitragen zu können. Wie reagieren Sie auf diese Kritik?
Lerch: Nachhaltigkeit ist ein Prozess, die Klimakrise ein globales Problem, demnach ist ein positiver Wandel nur möglich, wenn wir alle gemeinsam handeln. Das versucht die Rainforest Alliance immer wieder publik zu machen. Eine unserer Kampagnen folgt dem Leitspruch: „Pessimism is out – We‘re all in.“ Das Video dazu symbolisiert, Nachhaltigkeitssiegel bieten den Menschen Orientierung, doch der entscheidende Schritt ist das Bewusstsein. Bewusst sein, dass es wirklich nötig ist, etwas zu tun. Unternehmen müssen nachhaltiger wirtschaften, Regierungen klare Regeln setzen und wir Verbraucher können nachhaltigere Produkte wählen.