Toggle Navigation

Loudness War: Wieso Musikaufnahmen immer lauter werden und deshalb schlechter klingen

Loudness War, zu Deutsch Lautheitskrieg, beschreibt das Wettrüsten der Musikindustrie um immer lauter gemischte Aufnahmen.

Rezent veröffentlichte, an sich sanfte Pop Songs sind bei gleicher Einstellung des Lautstärkereglers, im Schnitt nahezu doppelt so laut wie härteste Hardrock-Stücke der 70er und 80er Jahre. Leider wird für maximale Lautheit immer öfter eine Minderung der Klangqualität in Kauf genommen.

Seit jeher wird in der Musikbranche versucht möglichst lauter zu sein als die Konkurrenz. Das Prinzip ist einfach: wer lauter spielt findet eher Gehör. Auch UKW-Radiosender buhlten so um die Aufmerksamkeit ihrer Hörer. Beim Umschalten zwischen Sendern sticht natürlich der mit der höheren Lautstärke heraus. Richtig in Fahrt kam der Loudnss Krieg aber erst, als die CD Ende der 80er Jahre allmählich die Schallplatte als flächendeckend genutzter Musikträger ablöste. Anders als bei der analogen Schallplatte, bei der eine zu hohe Aussteuerung zum Abspringen der Nadel des Tonabnehmers führen würde, sind den Toningenieuren beim Mischen für digitale Formate nahezu keine Grenzen gesetzt. Seit dem Erscheinen der CD ist die durchschnittliche Lautheit von Neuveröffentlichungen progressiv gestiegen.
Das gleiche Phänomen lässt sich bei Werbespots im Fernsehen und im Internet beobachten. Die Tonspuren der Werbebotschaften sind durchweg deutlich lauter als das eigentliche Programm bzw. Video, da die Industrie sich so erhofft mehr Aufmerksamkeit zu generieren.

Loudness War, Quelle: Pixabay
Das menschliche Gehör ist sensibler für bestimmte Frequenzen Quelle: Pixabay

Lautheit ist eine psychoakustische Größe. Anders als der physikalisch messbare Schalldruck beschreibt es die vom Menschen empfundene Stärke eines Schallsignals. Da das menschliche Gehör kein exaktes Messinstrument ist, hängt die gefühlte Lautheit von sehr vielen, komplexen Faktoren ab. Beispielsweise nehmen wir bei niedrigen Schalldrücken besonders tiefe und besonderes hohe Töne schlechter wahr als solche, die sich im mittleren Frequenzbereich abspielen. Genau dort ist interessanterweise auch die menschliche Stimme beheimatet. Die verzerrte menschliche Wahrnehmung der unterschiedlichen Frequenzen ist der Grund wieso leise gespielte Musik eher dünn und drucklos klingt. An älteren Musikanlagen fand man deshalb häufig eine sogenannte „Loudness-Taste“, die beim leisen Hören eine Anhebung des Bass- und Hochtonbereiches bezweckte. So konnte die Musik „gehörrichtig“ wahrgenommen werden, ohne zu später Stunde die Nachbarn erzürnen zu müssen.
Diese Eigenart unserer Wahrnehmung ist einer von vielen Gründen wieso wir so gerne laut Musik hören. Studien haben ergeben, dass untrainierte Probanden ein Musikstück als druckvoller, mitreißender und besser klingend einstufen, wenn es geringfügig lauter abgespielt wird. Leider hat der Loudness War über die Jahrzehnte zu einem derartigen Wettrüsten geführt, dass die tatsächliche Klangqualität immer stärker in Mitleidenschaft gezogen wurde.

Musik lebt von ihrer Dynamik: Ein langsam einsteigendes Intro, eine stampfende Bass Drum oder eine peitschende Snare Drum, spannungsaufbauende Strophen, gefolgt von einem explosionsartigen Chorus. Manche Instrumente und Passagen sind leiser, andere lauter. Durch Lautstärke kann der Künstler gezielt Spannung erzeugen und Akzente setzen. Die Variation zwischen lauten und leisen Stellen bezeichnet man als Dynamik. Damit eine laute Stelle herausstechen kann, muss es aber drumherum leiser sein. Anfang der 90er wurden Songs erstmals so abgemischt, dass die lauteste Stelle des Titels genau den maximal möglichen Pegel der CD ausreizte. Das sind zumeist die Ausschläge des Schlagzeuges, oder die lauteste Stelle im Refrain.

Loudness War <em>Quelle: Pixabay</em>
Toningenieure stehen of unter Druck genauso laut wie die Konkurrenz zu mischen Quelle: Pixabay

Die einzige Möglichkeit die empfundene Lautstärke noch weiter zu erhören war es, die Musik stark in ihrer Dynamik einzuschränken. In den Folgejahren nutzten Toningenieure immer ausgefeiltere, digitale Bearbeitungsprogramme wie Kompressoren und Limiter um zu Lasten der Dynamik noch lautere Musik produzieren zu können. Während Kompressoren laute und leise Stellen angleichen, gehen Limiter noch einen Schritt weiter und schneiden Pegelspitzen einfach ab. In der Folge kann durch den nun kleineren Sprung zwischen der lautesten und leisesten Stelle der Durchschnittspegel deutlich näher an das technisch mögliche Maximum gebracht werden. Das Ergebnis ist ein gepresster, undifferenzierter und im schlimmsten Fall hörbar verzerrter Klang. Dynamik als Stilmittel künstlerischer Gestaltung geht verloren. Extrem komprimierte Musik führt schneller zu Ermüdung und einige Experten warnen sogar vor Schwerhörigkeit bei zu langem Hören derartiger Produktionen.

Doch wieso hat der Loudness War nicht längst zu einem größeren Aufschrei der Musikhörer geführt? Nun dafür gibt es verschiedene mögliche Erklärungen. Zum einen wird Musik heutzutage zumeist über billigst produzierte Lautsprecher und Kopfhörer rezipiert. Das Aussehen und die Praktikabilität scheint dabei den meisten wichtiger zu sein, als die eigentliche Klangqualität. Zum anderen ging der Loudness War sehr graduell vonstatten. Die Hörgewohnheiten der breiten Masse hat sich verändert und viele bevorzugen sogar den komprimierten Klang, wahrscheinlich auch weil sie den Unterschied garnicht kennen und bei einem flüchtigen Vergleich, bei gleicher Lautstärkereglerposition, immer der lautere Song gewinnt. Gezielt eingesetzte Dynamikkompression hat aber durchaus seine Berechtigung. Live-Aufnahmen oder klassische Kompositionen besitzen oft derart ausgeprägte Pegelschwankungen, dass eine Dynamikreduktion notwendig ist, da bei angenehmer Lautstärkeeinstellung leise Passagen zwischen Umgebungsgeräuschen unterzugehen drohen.

Trotzdem liegen die Vorteile von dynamischen Aufnahmen klar auf der Hand. Leider finden sich Toningenieure oft in einer Zwickmühle wieder. Sie bekommen von ihren Kunden den Auftrag die Musik so laut wie möglich zu mischen, da befürchtet wird ansonsten nicht mit der Konkurrenz mithalten zu können. Die Aufgabe lautet nicht klangtechnisch das Optimum rauszuholen, sondern bei vorgegebener Lautstärke so viel wie möglich an Klangqualität zu retten. Unter der Devise “So laut wie möglich, so gut wie nötig” hat uns der technische Fortschritt leider nicht besser klingende Musik sondern primär lediglich lautere Aufnahmen beschert. Dass letztlich der Hörer den Lautstärkeregler bedient wird dabei außer Acht gelassen.

Ist ein Ende des Loudness War absehbar? Die jährlich ansteigenden Verkaufszahlen von Schallplatten könnte man als Wunsch nach mehr Dynamik interpretieren. Obwohl aus technischer Sicht der CD unterlegen bietet die Schallplatte einen Vorteil: Rein physikalisch ist es nicht möglich eine Platte so laut zu mischen wie es bei digitalen Medien der Fall ist.
Seiten wie die Dynamic Range Database ermöglicht es Musikliebhabern im Vorhinein zu überprüfen wie stark ein Album komprimiert wurde. Die Liste wird von Mitgliedern ständig erweitert und zeigt auf einer Skala von eins bis 20 an, wie dynamisch ein Album gemischt wurde. Interessant ist es zu beobachten, wie sich verschiedene Veröffentlichungen des gleichen Albums teils sehr drastisch unterscheiden.
Den Stein erst richtig ins Rollen bringen könnten aber Streamingdienste und Youtube und zwar durch eine Funktion namens Lautstärke-Normaliserung. Viele Nutzer stören sich an den lästigen Lautsärkesprüngen zwischen unterschiedlich laut gemischten Songs. Lautstärke-Normaliserung misst die durchschnittliche Lautstärke aller Titel der Playlist und bringt sie auf ein einheitliches Level. Der Vorteil lauter Produktionen verpufft so im Nichts.

Quelle Titelbild: Pixabay

Über den Autor

Tim Neiertz

Tim Neiertz

Meine Artikel:

Kommentiere