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Nahrungsergänzungsmittel – Fluch oder Segen?

Vitamin D, Calcium, Vitamin B12, viele Menschen denken, sie nehmen zu wenig dieser Nährstoffe auf. Manche greifen deshalb zu Nahrungsergänzungsmitteln. Doch warum?

Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) definiert Nahrungsergänzungsmittel als konzentrierte Quellen von Nährstoffen wie Mineralien und Vitaminen oder anderen Stoffen mit ernährungsspezifischer Wirkung. Sie werden in dosierter Form als Pillen, Tabletten, Kapseln oder Flüssigkeiten vermarktet.Damit sind Nahrungsergänzungsmittel ein wachsender Markt. In einer 2024 veröffentlichten Studie wird prognostiziert, dass sich der weltweite Umsatz bis 2029 um fast 50 Prozent steigern wird. Die Akzeptanz und auch das Interesse wächst. Das ist auch kein Wunder, da die kleinen Pillen einen Reiz haben: die Einfachheit. Das Angebot mit ein paar Pillen am Tag die eigene Gesundheit zu retten, klingt sehr verlockend. Doch mit diesem Anreiz geht bei vielen Konsument:innen die Vorsicht verloren. Oft wissen sie gar nicht genau, was sich hinter dem Wort Nahrungsergänzungsmittel verbirgt, wie sie wirken und welche Gefahren es gibt.

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) sagt hierzu: „Der Verzehr angereicherter Lebensmittel oder Nährstoffpräparate gleicht eine ausgewogene Ernährung nicht aus. Daher ist der Einsatz von Nahrungsergänzungsmitteln, um Krankheiten zu vermeiden, das Wohlbefinden zu verbessern oder eine einseitige Ernährung auszugleichen nicht sinnvoll.“ Für eine ausgewogene Ernährung empfiehlt sie mindestens drei viertel pflanzliche Ernährung und ein Viertel tierische. Dabei mindestens 5 Portionen Obst und Gemüse pro Tag, außerdem Hülsenfrüchte, denn sie enthalten Eiweiß, Vitamine, Mineralstoffe und Ballaststoff. Auch Milchprodukte werden empfohlen, denn auch sie enthalten Eiweiß und dazu Calcium, Vitamin B2 und Jod. In der Theorie sind diese Richtlinien den meisten Menschen bekannt, in den meisten Schulen werden sie in Form einer Ernährungspyramide behandelt. Doch warum sind Vitamine und Mineralstoffe so wichtig für unseren Körper?

Obst und Gemüse sind ein wichtiger Teil einer ausgewogenen Ernährung
Fotografin: Judith Krug

Vitamine, Mineralstoffe und deren Funktionen

Vitamine und Mineralstoffe sind neben Fetten, Aminosäuren, Kohlenhydraten und Eiweiß, Teil
der für die menschliche Ernährung essenziellen Nährstoffe. Ohne diese kann der Mensch nicht überleben. In unserem Körper agieren beide Stoffgruppen als sogenannte Prozess-Kofaktoren, sie sind für die Aktivierung oder die generelle Funktion von Prozessen zuständig. „Eigentlich sind sie wichtig für den gesamten Prozess im Körper.“, sagt Lea Sautter, Diabetologin und Ernährungswissenschaftlerin im
Universitätsklinikum Würzburg. Vitamine und Mineralstoffe sind wichtig für das Wachstum, den
Stoffwechsel, für Sehen und Atmen, aber zum Beispiel auch für die Knochenstabilität, erklärt sie
weiter. In ihrem Berufsalltag auf der geriatrischen Station der Uniklinik hat sie viel mit Ernährung
zu tun, auch mit Nahrungsergänzungsmitteln.

Vitamine kann der Körper nicht selbst herstellen, Mineralstoffe kann er sich aus bestimmten Lebensmitteln, beispielsweise in der Verbindung mit Proteinen selbst generieren. Beide Stoffe müssen also kontinuierlich durch die Nahrung aufgenommen werden, denn sie können nichtgespeichert und nur in kleinen Mengen vom Körper verarbeitet werden. Werden sie nicht genug aufgenommen, hat das weitreichende Folgen auf unsere Gesundheit. „Wenn du zum Beispiel kein Kalzium mehr aufnehmen würdest, dann würde dein Körper anfangen die Knochen zu demineralisieren, um das Restkalzium aus den Knochen für Körperprozesse zu verwenden.“, erklärt Sautter. Damit das nicht passiert hat die DGE Referenzwerte für jedes Vitamin und jeden Mineralstoff festgelegt, also eine bestimmte Menge, die eingenommen werden sollte. Es ist jedoch wichtig zu wissen, dass diese Werte nur Richtwerte sind, denn die genaue Menge ist individuell unterschiedlich. Sie hängt unter anderem vom Alter, der Lebenssituation und der Ernährung ab. Ernährt man sich beispielsweise vegetarisch sollte man besonders auf Vitamin B 12 und Calcium achten. Wenn diese Werte stark unterschritten werden, kann ein Mangel auftreten. Aus Angst vor einem Mangel greifen viele zu Nahrungsergänzungsmitteln.

So wie es bei einer zu geringen Einnahme von Nährstoffen zu einem Mangel kommen kann, kann es bei einer zu hohen Einnahme auch zu einer Überdosierung kommen. Das ist jedoch nur durch Nahrungsergänzungsmittel möglich, denn in diesen sind Nährstoffe sehr viel höher dosiert als in anderen Lebensmitteln. Bei einer solchen Überdosierung kann es im schlimmsten Fall zu Vergiftungen kommen erzählt Lea Sautter. „Selen beispielsweise kann in zu hohen Mengen zu Sehschädigungen oder sogar Nervenschäden führen.“ Aber auch bei manchen Vitaminen ist eine Überdosierung und potenzielle Vergiftung möglich. Hier muss jedoch zwischen zwei Untergruppen unterschieden werden. Es gibt wasserlösliche und fettlösliche Vitamine. Überschüssige wasserlösliche Vitamine werden über die Niere wieder ausgeschieden, somit wird bei einer Überdosierung durch Vitamintabletten einfach nur teurer Urin produziert. Fettlösliche Vitamine, die Vitamine A, D, E und K, werden allerdings in der Leber und im
Fettgewebe gespeichert. Deshalb ist hier vor allem bei einer fettreichen Ernährung Vorsicht geboten. Denn Überdosierungen können im schlimmsten Fall zu Herzrhythmusstörungen oder Leberschäden führen.

Wie entstehen Nahrungsergänzungsmittel?

Nahrungsergänzungsmittel können auf zwei Arten hergestellt werden, synthetisch oder natürlich, an ihrer Wirksamkeit ändert das jedoch nichts. Obwohl laut Verbraucherzentrale Nahrungsergänzungsmittel nur noch selten wirklich aus Pflanzen oder Tieren gewonnen werden,werben immer mehr Unternehmen mit natürlichen Nahrungsergänzungsmitteln. Der Begriff „natürlich“ ist jedoch nicht rechtlich geschützt, daher ist davon auszugehen, dass die Definition des Begriffes relativ willkürlich ist. Eine synthetische Herstellung geschieht durch chemische Reaktionen. Beispielsweise durch Synthese, also die Zusammenführung verschiedener chemischer Elemente zu einer neuen Verbindung.

Die rechtlichen Hintergründe

Dass „natürliche Nahrungsergänzungsmittel“ rechtlich nicht definiert sind, ist jedoch erst die Spitze des Eisbergs. Denn diese unpräzisen Richtlinien ziehen sich durch den gesamten Themenkomplex Nahrungsergänzungsmittel. Definiert sind sie als Lebensmittel, fallen also unter das Lebensmittelrecht, nicht unter das Arzneirecht. Sie sind also genau so geregelt wie die Milch aus dem Supermarkt, aber anders als die Schmerzmittel aus der Apotheke. Um ein neues Nahrungsergänzungsmittel auf den Markt zu bringen, muss es nur bei dem Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelrecht angemeldet werden. Für die Sicherheit, Wirkung und Einhaltung von Richtlinien sind die Vertreiber:innen der Produkte zuständig, die Lebensmittelüberwachung führt nur stichprobenartige Testungen durch. Trotz der auf den ersten Blick sehr locker wirkenden Regelungen gibt es aber ein paar gesetzliche Vorgaben, die von Vertreiber:innen beachtet werden müssen. Dabei geht es vor allem um die Menge des verkauften Nährstoffes.

Bei diesem Nahrungsergänzungsmittel entspricht die Tagesdosis dem Inhalt pro Ampulle
Nahrungsergänzungsmittel / tetesept b12 Vita-Kick Intensiv Kur
Fotografin: Judith Krug

Auf der Verpackung eines Nahrungsergänzungsmittels müssen immer die folgenden Angaben
vermerkt sein. Einerseits die Nutritional Reference Value (NRV), dieser Wert ist ein EU-weiter
Durchschnittswert für die tägliche Einnahme des spezifischen Nährstoffes. Und außerdem die
Mindestmenge pro Tag. Außerdem muss die Menge des Nährstoffes, der im Nahrungsergänzungsmittel erhalten ist, ausgeschrieben sein. Da Nahrungsergänzungsmittel jedoch im Lebensmittelrecht und nicht im Arzneirecht geregelt sind, darf die angegebene Menge bis zu 50% von der tatsächlich enthaltenen Menge im Nahrungsergänzungsmittel abweichen. Abgesehen von den NRV-Werten sind Lebensmittel und somit auch Nahrungsergänzungsmittel Sache der einzelnen Mitgliedsstaaten in der EU. In Deutschland gibt es keine verschärften Regelungen zur Einnahme. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hat zwar Empfehlungen für Höchstmengen von Vitaminen und Mineralstoffen herausgebracht und diese im Jahr 2024 auch erneut überarbeitet, diese Höchstmengen sind jedoch dem Namen nach nur Empfehlungen und nicht rechtlich bindend.

Das Bundesinstitut für Risikobewertung empfiehlt, höchstens 250 mg Magnesium pro
Tag über Nahrungsergänzungsmittel aufzunehmen.
Grafik der Website „Klartext Nahrungsergänzung“ eine Aktion der Verbraucherzentrale

Forderungen nach strengeren Gesetzen

Diese Regelung wird vor allem von Vertreter:innen der Verbraucher, spezifische von der Verbraucherzentrale, stark kritisiert. Sie fordern eine Verschärfung der Gesetze, am besten EU-weit. „Denn wenn Verkäufer von Nahrungsergänzungsmittel in einem anderen EU-Land sitzen und diese über das Internet erworben werden, greifen nationale Regulierungen, die von Land zu Land unterschiedlich sind. Die Behörden des Käuferlandes haben oft wenig direkte Handhabe, um Verstöße gegen nationale Vorschriften zu ahnden, da das Unternehmen außerhalb ihrer direkten Zuständigkeit liegt.“, so Daniela Krehl. Sie ist stellvertretende Referatsleitung des Referats „Lebensmittel und Ernährung“ der Verbraucherzentrale in Bayern. Außerdem wären nach ihrer Ansicht verbindliche Höchstmengen wichtig, um Überdosierungen zu vermeiden. Auch Stofflisten für erlaubte, aber auch für verbotene Stoffe werden gefordert, damit die entsprechenden Produkte vom Markt genommen werden können. Am besten es gäbe gleich eine Zulassung, bevor die Produkte erst auf den Markt kommen, somit könnten die entsprechenden Produkte gleich aussortiert werden.

Aber diese Position stößt bei Interessenverbänden naturgemäß auf Widerspruch. Antje Preußker zum Beispiel findet diese Forderungen nicht notwendig. Sie ist in der wissenschaftlichen Leitung des Lebensmittelverbandes und vertritt somit die Meinungen und Anliegen der Lebensmittelbranche. Ihrer Meinung nach ist eine Zulassung nicht nötig. Die rechtlichen Vorgaben sind umfangreich und gelten für Zutaten, Zusatzstoffe und Kontaminanten, aber auch für Kennzeichnungen und Werbung. Zusätzlich sind spezifische Vorgaben in der Nahrungsergänzungsmittel-Richtlinie festgehalten. Die Zulassung erfolgt bei Nahrungsergänzungsmitteln, anders als bei Arzneimitteln schon auf stofflicher Ebene, also
anhand der Stoffe, aus welchen die Nahrungsergänzungsmittel hergestellt werden können. Nur weil diese nicht am Ende passiere, sei es kein rechtsfreier Raum, so Preußker.

Eine Überdosierung ist mit jedem Lebensmittel möglich: „Man kann sich theoretisch auch zu Tode trinken.“, sagt sie. Das stimmt zwar, die Dosis macht das Gift, jedoch ist der Weg zum Tod durch Wasser trinken aus wissenschaftlicher Sicht sehr viel komplizierter. Antje Preußker weiß, dass die Verbraucherzentrale und auch das BfR die gesetzliche Regelung von Nahrungsergänzungsmitteln für unzureichend ansehen. Trotzdem müssen diese laut ihr nicht geändert, sondern wenn überhaupt nur ergänzt werden. Nachdem der Lebensmittelverband im Jahr 2015 selbst eine Studie zur Überdosierung von Nahrungsergänzungsmitteln durchgeführt und darin keine signifikanten Überdosierungen festgestellt hat, sagt sie: „Wenn Daten vorliegen, die ein Gesundheitsrisiko belegen, werden die Hersteller selbstverständlich darauf reagieren.“ So lange können aus ihrer Sicht die Verbraucher den Qualitätskontrollen der seriösen Hersteller vertrauen. Zumal die Verbraucher nicht auf den Kopf gefallen seien und wohl kaum drei Nahrungsergänzungsmittel mit dem gleichen Nährstoff kaufen würden, meint sie. Vorsicht sei jedoch beim Kauf von Nahrungsergänzungsmitteln im Internet geboten.

Zwei gegensätzliche Meinungen, und jetzt?

Die Lager sind also festgefahren. Je nachdem welche Seite man fragt, bekommt man unterschiedliche Antworten zur gesetzlichen Regelung von Nahrungsergänzungsmitteln. Dies liegt insbesondere an den unterschiedlichen Sichtweisen auf den Themenkomplex. Während die Medizin und der Verbraucherschutz eher aus Sicht der Verbraucher:innen auf das Thema blicken, vertritt die Lebensmittelbranche sich selbst, eben die Verkäufer:innen. Strengere Regulierungen würden für die Branche einen höheren Aufwand bedeuten, aber würden Verbraucher:innen besser vor potentiellen Überdosierungen oder unsicheren Inhaltsstoffen schützen. Die Frage ist nun hauptsächlich die Notwendigkeit. Überdosierungen sind schlecht für den Körper, das ist ganz klar. Sie kommen jedoch nur selten vor. Laut der Studie des Lebensmittelverbandes „erwies sich die Überschreitung der wissenschaftlich anerkannten Obergrenze als gering.“ Diese Studie ist nun jedoch schon fast 10 Jahre alt, dementsprechend kann sie nicht mehr als repräsentativ angesehen werden. Basierend auf dem
Verbrauchermonitor 2021 zu Vitaminen und Nahrungsergänzungsmitteln, durchgeführt 2021 durch das BfR, nehmen über die Hälfte der deutschen Bevölkerung Nahrungsergänzungsmittel zu sich, über ein Drittel mindestens einmal in der Woche. Die Bewertung von Grenzwerten zur Überdosierung könnten sich also geändert haben. Aktuellere Erhebungen zu diesem Thema sind allerdings nicht vorhanden. Und ohne repräsentative Daten kann keine konstruktive Diskussion zu potenziellen Gesetzesänderungen stattfinden.

Neben der unzureichenden Studienlage sind sich sowohl Verbraucherschutz, Medizin, als auch die Lebensmittelbranche in einem Punkt einig: Das größte Problem, sind die Nahrungsergänzungsmittel, die über das Internet verkauft werden. Denn anders als bei den Produkten in Supermärkten, können die Vertreiber der Nahrungsergänzungsmittel im Internet überall sitzen, oft auch außerhalb der EU. Das macht es für die Behörden der Lebensmittelüberwachung schwierig Produkte, die die Definition und rechtliche Anforderung von Nahrungsergänzungsmitteln nicht erfüllen vom Markt zu nehmen. Antje Preußker sagt dazu: „Wenn diese Produkte aus dem Internet nicht wären, hätten wir, glaube ich, kaum noch große Diskussionen über Nahrungsergänzungsmittel. Man kann hier und da über einige Sachen
diskutieren, aber unterm Strich sind unseriöse Produkte aus dem Internet das Hauptproblem.“ Denn es ist unsinnig über neue Gesetzte zu diskutieren, wenn die bestehenden Gesetzte noch nicht einmal überall befolgt und durchgesetzt werden können.

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Judith Krug

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