Ein aufgeschnittenes Bauteil hergestellt mit dem 2K-Verfahren. Bild: Martin Vollet.
14. April 2021
Mehr Rezyklat in Automobilbauteilen?
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) und weitere Verbände fordern eine Rezyklateinsatzquote, um die deutsche Kunststoffkreislaufwirtschaft voranzutreiben. Wie ist eine Rezyklateinsatzquote technologisch in Bauteilen zu verwirklichen, ohne die Qualität zu gefährden?
Martin Vollet ist bei der Microfol Compounding GmbH im Vertrieb tätig und in der Entwicklung für OEMs der Automobilindustrie zuständig. Der Anwendungstechniker beschreibt im Interview die verfahrenstechnische Entwicklung im Bereich des Zweikomponentenspritzgusses.
Rezyklat wird in letzter Zeit häufig in Verpackungen oder Bauteilen verwendet. Warum wird dies von den Herstellern angegeben?
Früher wäre das wahrscheinlich noch verheimlicht worden. Im Zuge der Nachhaltigkeit ist es ein Werbeaspekt. Was ist in meinem Produkt? Das wird als Marketingzweck hergenommen.
Warum wurde es früher verheimlicht?
Weil technische Bedenken bestanden und es wirtschaftlich nicht interessant war. Neuware ist preislich im Ganzen betrachtet etwas attraktiver als das Rezyklat. Und beim Rezyklat ist es meistens so, dass beispielsweise die technischen Werte schwanken. Das heißt, diese Probleme treten in meinem Verarbeitungsprozess mit auf. Wenn ich keine genaue Ausgangsposition beim Rezyklat habe und es verarbeite, dann erhalte ich später ein Produkt, das in seinen Eigenschaften schwankt. Deswegen haben sich die meisten Anwender davon etwas distanziert.
Es besteht also die Angst, die Qualität der Produkte nicht mehr gewährleisten zu können?
Diese Angst ist immer noch sehr groß. Gerade dieses Thema taucht im Fahrzeugbau auf. Wir werden zum Beispiel bei unseren Rezyklatcompounds strenger geprüft als bei den 1A-Neuwaren. Das liegt daran, dass der Vertrauensaspekt – auch durch fehlende Regelungen – nicht vorhanden ist. Viele sind hergegangen, haben Rezyklat gekauft, durchexperimentiert und dann geschaut, was rauskam. Viele Recyclingbetriebe haben dementsprechend verkauft, unabhängig davon, ob der Kunde zurechtkommt. Dafür müsste der Prozess wie beim PET-Recycling mit einem RAL-Gütezeichen durch einen unabhängigen Ausschuss qualifiziert und überwacht werden. Das betrachten wir als unsere Aufgabe seitens Microfol, dieses Vertrauen wiederherzustellen. Und erst wenn die Qualität gewährleistet und erprobt ist, kommt das Rezyklatcompound in den Weiterverarbeitungsraum.
Wie steht es um den Einsatz von Rezyklaten in der Automobilbranche?
Meiner Meinung nach sind Rezyklate grundsätzlich bei geeigneter Qualität der Rohstoffquellen im Fahrzeuginterieur einzusetzen. Das ist ein relativ großer Aufwand, aber es ist machbar. Doch wenn wir uns die Mengenverfügbarkeit der Rezyklatausgangsprodukte anschauen und was der Markt fordert, werden wir ein Gap haben, das der Rezyklatmarkt nicht erfüllen kann. Audi möchte zum Beispiel gerne einen Rezyklatanteil von mindestens 60 Prozent im Fahrzeuginnenraum oder im Fahrzeug haben. Das ist ein hohes selbstgestecktes Ziel. Mit Blick auf die vielen Bauteile ist die erforderliche Menge an Rezyklat hoch. Zusätzlich sind die Teile des Chassis zum Beispiel häufig verklebt oder lackiert. Wenn ein Bauteil mit Kleber oder Lack verunreinigt ist, dann kann der Kunststoff nicht mehr so aufbereitet werden, dass er in der gleichen Anwendung wieder einsetzbar ist. Das Bauteil riecht beispielsweise unangenehm und es würde nie zu einer Teilefreigabe kommen. Das heißt, es werden Teile aus dem Fahrzeug benötigt, die nicht behandelt sind.
Dadurch engt sich dieser Kreis möglicher Ressourcen schon wieder ein, sodass ich nur schwer auf diese 60 Prozent Recyclingquote komme.
Und wie wird es weitergehen?
Ich gehe momentan davon aus, dass es in den nächsten Jahren einen Schritt weitergehen wird und dass mit Rezyklat nur noch Post-Consumer-Abfälle gemeint sind und kein Industrierecycling aus zum Beispiel Altteilen. Da wird sich sicherlich etwas tun müssen, gerade was das Sammeln und Aufbereiten angeht. Aber es wird Probleme bei Bauteilen mit Oberflächenansprüchen geben. Da scheitert bisher der Einsatz definitiv, denn das Rezyklatmaterial ist nie so, dass es wirklich zu 100 Prozent einer Neuware gleichkommen würde. Und dazu sind wir seit geraumer Zeit unter anderem mit Audi und VW in Diskussion, dieses Thema auch verfahrenstechnisch anzugehen. Verfahrenstechnisch heißt in diesem Fall die Produktion der Teile mit dem sogenannten Sandwichverfahren.
Rezyklat im Sandwichverfahren
Wie sehen diese hergestellten Bauteile aus?
Sie haben eine 1A-Hülle aus Neuware und eine Innenkomponente aus Rezyklat. Das heißt Außen ist das Rezyklat nicht zu sehen. Der Spritzguss verändert sich nicht, es handelt sich lediglich um zwei Komponenten, die gemeinsam gezielt in das Bauteil gespritzt werden.
Kann die äußere Schicht auch ein biobasierter Kunststoff sein?
Das kann alles Mögliche sein, Neuware oder ein biobasierter Kunststoff. Das ist abhängig von den Bauteilansprüchen. Die Innenkomponente wäre dann ein beliebiges Rezyklat. Dadurch wird es wesentlich leichter, da die Oberflächenqualität nur noch verfahrenstechnisch angegangen werden muss. Die Kernkomponente ist quasi im Bauteil eingesperrt. Wichtig ist aber, dass sich Hülle und Kernkomponente werkstofflich verbinden und zueinander passen.
Sie müssen sich demnach nur noch um die mechanischen Eigenschaften bei den Testverfahren der Bauteile sorgen?
Genau. Das ist die Verfahrenstechnik, auf die wir jetzt in Zukunft ganz stark setzen werden. Gerade im Hinblick auf die vermehrte Verwendung von Post-Consumer-Abfällen gehen wir schon einen Schritt weiter in diese technologische Vorwärtsrichtung.
Welche Nachteile ergeben sich durch das Sandwichverfahren?
Die Technologie hatte bis jetzt einen Nachteil, weshalb sie noch nicht sehr verbreitet ist. Es wird dabei immer ein sogenannter Kaltkanal im Werkzeug benötigt, wenn die zwei verschieden Kunststoffschmelzen zusammengebracht werden. Das heißt, sie haben zuerst die Hüllenkomponente und schieben dann direkt die Kernkomponente nach. Würde ich das jetzt in dieser Verfahrenstechnik genauso machen, hätte ich bei großen Bauteilen wie einer Autoheckklappe statt einer 1500 Tonnen Schließkraftmaschine aufgrund der dann zu erwartenden Werkzeuggröße eine wesentlich größere Maschine. Und dieses aufwendigere Kaltkanalsystem hat aus wirtschaftlichen Gründen verhindert, dass größere Bauteile gefertigt werden konnten.
Weiterentwicklung der Verfahrenstechnik
Und wie kann dieses Problem verfahrenstechnisch angegangen werden?
Das Spritzverfahren kann jetzt auch über eine Heißkanaltechnik angewendet werden. Somit wird das Verfahren für Hersteller in der Automobilindustrie interessant, denn der Einsatz wird bei großen Bauteilen möglich. Das neue Werkzeugkonzept der Heißkanaltechnologie ist ein bisschen teurer, aber beim Beispiel Heckklappe können mit diesem Verfahren die geforderten 60 Prozent Rezyklatanteil oder mehr gespritzt werden. Der Rezyklatanteil wird erhöht, ohne Problematiken wie Oberflächenemissionen oder störende Gerüche beachten zu müssen. Den Weg verfolgen wir gerade mit dem Heißkanalhersteller Ewikon Heißkanalsysteme GmbH. Es dürften aber auch andere Heißkanalhersteller auf diesen Zug aufspringen.
Die bestehende Technologie des Zweikomponentenspritzgusses ist weiterentwickelt worden. Wie ist der derzeitige Entwicklungsstand?
Der Automotivsektor ist strikt. Der sagt erst mal: „Beweis es mir! Ich möchte die technischen Daten haben, denn ich habe hier eine zu erfüllende OEM-Norm, die ich einhalten muss.“ Beispielsweise muss die Schlagzähigkeit oder der E-Modul (Elastizitätsmodul, Anm. d. Red.) der Bauteile eingehalten werden. Das Bauteil ist mehrschichtig aufgebaut. Die Leistung der Hülle ist bekannt und auch die der Kernkomponente. Aber es ist unbekannt, was das Bauteil in einer Verbindung zu leisten vermag. So eine Verbindung kann schlechter oder besser werden. Ein typisches Bauteil, das schon lange im Fahrzeugbau ist, ist der häufig verchromte Türöffner im Fahrzeug. Hier wird das Sandwichverfahren seit vielen Jahren angewendet. Im Kern des Bauteiles ist ein Polyamid mit Glasfaser, um die gewünschte Festigkeit zu erzielen. Die Hülle ist eine weitere Kunststoffschicht. Wäre das glasfaserverstärkte Polyamid an der Oberfläche, könnte keine Chromschicht aufgesetzt werden. Das würde furchtbar ausschauen. Seit Januar 2021 wird der Mehrschichtaufbau mit Rezyklat messtechnisch erfasst. Das heißt für mechanische Prüfverfahren werden Zugstäbe und Normkleinstäbe mit dieser Verfahrenstechnik gespritzt und getestet.
Aber dadurch entsteht erneut ein Multilayeraufbau, der bei der Materialzurückführung nicht zu trennen ist. Wie wollen Sie das angehen?
Das Sandwichbauteil kann immer wieder als Rezyklat in die Kernkomponente gepackt werden. Das ganze Bauteil und auch eventuell anfallende Angüsse werden zusammen gemahlen und aufbereitet.
Können biologisch basierte Kunststoffe in der Automobilbranche auch als äußere Hülle verwendet werden?
Nein. Da sehe ich beim Fortbestand gegenwärtiger Entwicklung aus technologischer und auch preislicher Sicht bisher keine Chance. Entweder wird zum Beispiel die Kratzfestigkeiten nicht erreicht oder die Temperaturbeständigkeit der Bauteile fehlt. Und wenn alle Qualitätsansprüche eingehalten sind, dann haben Sie einen Preis, der jenseits von Gut und Böse liegt. Es gibt Materialien, die können das bereits. Die liegen aber bei 14 bis 16 Euro pro Kilogramm.
Irgendwann werden wir jedoch das Dilemma haben, dass die fossile Ressource ausgehen wird. Wird die Branche bald auf Erdöl verzichten können?
Um das technologisch hinzubekommen, muss forschungs- und entwicklungsseitig noch viel angegangen werden. Ich sehe hier ein riesen Problem. In dem Moment, wo der Rohstoff Erdöl mal knapp wird, erst wenn es wirklich unwirtschaftlich wird, dann wird der Umschwung kommen.
Das wird aus der Not heraus passieren. Vorher tritt keine Veränderung auf, denn der Kaufmann hat immer noch das Sagen. Das ist leider so.
Das Angebot und die Nachfrage werden also weiterhin die Branche beherrschen?
Ja und wir sind auf einem globalisierten Markt. Dieser Prozess muss weltweit erfolgen. Es reicht in Deutschland oder in Europa allein nicht, Änderungen voranzutreiben.