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Mobilitätswende: Eine große gesellschaftliche Aufgabe

Wir legen täglich viele Wege zurück. Mobil sein zu können ist im Alltag wichtig. Gleichzeitig taucht im gesellschaftlichen Diskurs die Frage nach einer Mobilitätswende auf. Im Interview beschreibt der Mobilitätsexperte Sebastian Clausen was hinter der Mobilitätswende steckt und wie sich diese entwickeln könnte.

Ein Interview von Vivien Hermanns

Portraibild Mobilitätsexperte Sebastian Clausen

Zur Person:

Sebastian Clausen hat seinen Bachelor für Stadtplanung in Stuttgart und den Master in Hamburg absolviert. Sein Fokus lag schon immer auf der Mobilität und der Verkehrsplanung. Jetzt arbeitet er an der Schnittstelle zwischen der Stadtentwicklung und der Verkehrsplanung. Seit Februar 2022 leitet er das ARGUS studio. Dieses ist seit 2020 Teil des Verkehrsplanungsbüros ARGUS STADT UND VERKEHR in Hamburg. Zusätzlich referiert er an der Hafencity Universität Hamburg mit Dipl.-Ing. Konrad Rothfuchs (Geschäftsführer ARGUS STADT UND VERKEHR PARTNERSCHAFT mbB) zum Thema Zukunft von Stadtraum und Mobilität.

Wie kann der Begriff Mobilität vom Begriff Verkehr unterschieden werden?

Clausen: Mobilität bedeutet die Bewegung von A nach B. Da ist es unabhängig, wie die Art der Fortbewegung gestaltet ist. Verkehr ist das Bewegen und insbesondere die Möglichkeit mobil zu sein von und mit Fahrzeugen und Personen auf festgelegten Wegen und Straßen oder Schienen. Verkehr kann mit dem Auto oder in der Bahn sein oder mit einem Fahrrad. Und es kann aber auch zu Fuß sein.

Was bedeutet für Sie die Mobilitätswende?

Clausen: Die Mobilitätswende ist vielfältig. Erst mal bedeutet es das Infragestellen der jetzigen Fortbewegung oder diese sehr starke Konzentration und Fokussierung der letzten Jahrzehnte auf das Auto. Mobilitätswende heißt in Zukunft unsere Mobilität anders zu gestalten. Es geht nicht nur darum, den Antrieb auszutauschen wie beispielsweise vom Kraftstoffverbrenner auf das E-Fahrzeug. Das kann ein Thema sein. Sondern es bedeutet Mut zu haben, neue und andere Wege zu gehen. Dafür stellt sich die Frage wie wir uns anders fortbewegen können, um damit die Klimaziele zu erreichen. Sei es mit dem Fahrrad, mit den Zügen oder mit der S Bahn.

Die Transformation von einer autozentrierten Stadt hin zu lebenswerten Städten und Orten, die eben auch ohne das Auto oder in reduzierter Form auskommen, wird Zeit benötigen. Mobilitätswende meint auch den Wandel auf den sogenannten Umweltverbund und fokussiert sich stark auf diesen. Zum Umweltverbund werden die öffentlichen Verkehrsmittel, also Bus, Züge, Fahrrad und auch der Fußgängerverkehr dazugezählt. Die E-Mobilität zählt zum Beispiel nicht dazu, weil E-Fahrzeuge am im Straßenraum stehen und Platz verbrauchen.

ein Stadtplan mit geplanten Mobilitätswegen
Ein Agglomerationskonzept für Köln und Bonn. Quelle: Urbanista – ARGUS

Wo betrifft die Mobilitätswende die Bürger*innen neben einer Umstellung auf einen autoreduzierten Verkehr?

Clausen: Wir stellen immer wieder fest, egal ob das auf Beteiligungsveranstaltungen oder auf öffentlichen Veranstaltungen ist, dass der Verkehr eine große Rolle spielt, da Verkehr irgendwie jeden betrifft. Jeder hat eine Meinung dazu, weil es einfach den Alltag betrifft. Jeder ist mobil, jeder ist unterwegs. Wir sind so viel unterwegs wie nie zuvor. Und deswegen bedeutet auch Mobilitätswende viel mehr als einfach nur vom Auto zum Umweltverbund. Es werden demokratische Prozesse notwendig sein. Das sind gesellschaftliche Prozesse.

Wir kommen dort mit der klassischen Verkehrsplanung nicht überall weiter. Es sind viel mehr Lebensbereiche, die betroffen sind und die man mitbedenken muss. Wir greifen sehr viel in routinierte Prozesse ein. Mobilität hat sehr viel mit Routinen zu tun. Man ist es gewöhnt, bestimmte Abläufe in einer bestimmten Art und Weise zu machen, wie immer mit dem Auto zur Arbeit zu fahren und das 30 Jahre lang. Aber es gibt bestimmte Punkte, wo Mobilitätsplanung ansetzen kann. Das muss immer im Hinterkopf behalten werden.

“Die Mobilitätswende ist eine große gesellschaftliche Aufgabe und nicht nur eine S-Bahn Planung.”

Sebastian Clausen, Leiter ARGUS studio

Wo setzt ARGUS studio in der Mobilitätsentwicklung an?

Clausen: Die Verkehrsplanung wird klassischerweise vom Bauingenieur gemacht. Wir stellen aber immer mehr fest, dass wir an diesen rein technischen Themen an bestimmten Punkten nicht weiterkommen und da viele Prozesse in der Verkehrsplanung linear vollzogen werden. Bestimmte Prozesse müssen wir agiler gestalten. Wir sind ein Team von zehn Personen und befassen uns eben sehr stark mit der Schnittstelle zwischen Stadtentwicklung und Mobilität und stellen uns den Fragen der Mobilitätswende.

Und welche Faktoren sind für die Planung eines Mobilitätskonzeptes relevant?

Clausen: Es kommt immer ein bisschen darauf an, was es für ein Projekt betrachtet wird. Wir durften zum Beispiel gerade eine räumliche Strategie ganz übergeordnet im Rheinischen Revier, wo die großen Tagebauten im Westen von Köln sind, machen. Es ging um die Frage: Wie geht es weiter, wenn der Kohleabbau eingestellt ist? Das heißt, da geht es um Faktoren zum Beispiel um Themen wie Schienenausbau, regionale Kooperation oder räumliche Entwicklung.

Was wir sehr viel machen, sind Mobilitätskonzepte für neue oder bestehende Stadtteile Gerade betreuen wir beispielsweise in Hamburg den Stadtteil Grasbrook. Das ist ein neuer Stadtteil südlich der Hafencity. Wir überlegen, was die Leute vor Ort brauchen, um später auch möglichst auf das Auto verzichten zu können – also wir programmieren die Mobilität für ein autoarmes Quartier mit sehr ambitionierten Zielen. Ein weiteres Beispiel ist der Verkehrsversuch im Stadtteil Ottensen in Hamburg Altona. Dort ging es testweise sechs Monate darum, einen Straßenraum für den Autoverkehr zu sperren und zur Fußgängerzone umzuwidmen. Das löste natürlich eine große öffentliche Diskussionen aus. Dazu gab es viel Gegenwind und es wurde mit insgesamt positiven Ergebnis evaluiert.

Menschen in einer Fußgängerzone.
Der Verkehrsversuch Ottensen macht Platz. Quelle: Sebastian Clausen.

Es immer unterschiedlich, was für die Projekte benötigt wird. Es müssen die richtigen Fragen gestellt werden und da glaube ich, dass wir sehr stark von den Zielen ausgehen müssen. Vorher sollte überlegt werden, in was für Städten und Quartieren wir zukünftig leben wollen. Wie sieht für uns eine lebenswerte Stadt aus? In einer lebenswerten Stadt, glauben wir, dass das Auto nicht mehr die ganz große Rolle spielt, sondern das Fahrrad und die Fußgänger in den Mittelpunkt rücken.

Wissenswertes:
Das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) hat ein Bausteinsystem zur Erfassung des Verkehrs veröffentlicht. Dort befinden die die aktuellen Mobilitätserhebungen im Überblick.

In der PwC-Studie von 2020: Wie COVID-19 die Mobilität in Deutschland bewegt, wurde das Mobilitätsverhalten in der Bevölkerung nach der Krise befragt wurde. Die Befragung hat ergeben, dass das Fahrrad und Pop-up-Radwege im Trend sind. Was für Trends haben Sie bei ARGUS studio für die Zukunft identifiziert?

Clausen: Trends haben die Eigenschaft, dass sie kommen und sich irgendwann auch wieder verabschieden oder etablieren und bleiben. Im Studio versuchen wir diese Trends aufzuspüren, aufzunehmen und zu schauen, was für ein Potenzial darin steckt. Insgesamt lässt sich sagen, dass die klassischen Verkehrsträger, wie wir sie nennen, also eben das Fahrrad, der öffentliche Verkehr, das zu Fuß Gehen und sicherlich in irgendeiner Form auch das Auto, in Zukunft die klassischen Verkehrsträger bleiben werden. Ich glaube, dass sich in den nächsten 20 Jahren nicht grundlegend etwas ändert.

“Ich persönlich kann mir nicht vorstellen, dass in zehn Jahren die Päckchen mit der Drohne geliefert werden.”

Sebastian Clausen, Leiter ARGUS studio

In Australien, zum Beispiel für die medizinische Versorgung in der Wüste, kann der Einsatz von Drohnen sicher ein Thema sein. Aber ich glaube in einem urbanen Kontext wie beispielsweise Hamburg oder in anderen Städten ist das nicht vorstellbar. Es gibt aus den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts Visualisierungen von Städten in der Zukunft. Aber keine diese Entwicklungen ging über Prototypen hinaus.

Also wird sich unser visuell wahrnehmbares Mobilitätsumfeld kaum verändern. Aber dennoch wird die Verknüpfung mit demokratischen Prozessen und dem Einfluss der Gesellschaft bei der Planung enger.

Clausen: Genau. Ich glaube, wir stehen vor der größten Transformation der Städte seit dem zweiten Weltkrieg. Es wird große Veränderungen auch im Bereich der Mobilität geben. Die großen Fragen lauten immer: Wie schnell werden wir das schaffen? Wie können wir die Gesellschaft auch mitnehmen? Das ist meine persönliche Einschätzung.

Welche Herausforderungen sehen Sie in der Mobilitätswende?

Clausen: Wir haben die große Herausforderung, dass wir in unseren Städten die Flächen neu aufteilen müssen. Und zwar nicht dogmatisch, sondern dass wir uns überlegen müssen, wie die Flächen gerechter verteilt werden. Zusätzlich müssen wir die Klimaziele und somit die Ziele zur Mobilitätswende erreichen. Aber auch die Darstellung des Mobilitätswandels für die Gesellschaft ist herausfordernd. Und diese grundlegenden Herausforderungen sind noch gar nicht geklärt, da sich die Mobilitätswende noch am Anfang befindet.

Wir sehen ja auch, dass in den Städten sehr viel passiert. Es wird jedes Jahr ein bisschen ambitionierter und wir stellen fest, die gesetzten Ziele reichen nicht um die Klimaziele zu erreichen. Einmal haben wir sie erreicht, weil die Coronapandemie dazwischengekommen ist. Aber in diesen Entwicklungen stellen wir einfach fest, um das abschließend zu sagen: Wir haben noch einen herausfordernden Weg vor uns.

Weiterführende Information:
Der Think Tank Agora Verkehrswende hat 12 Thesen zur Verkehrswende entwickelt. Die Initiative der Stiftung Mercator und der European Climate Foundation erarbeitet eine Klimaschutzstrategie, um gemeinsam mit Akteuren aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft im Verkehrssektor die Dekarbonisierung in Deutschland bis 2045 umzusetzen. Im Mittelpunkt der Plattform steht der gesellschaftliche Diskurs, aber es werden auch Prozesse entwickelt und auf wissenschaftlicher Basis über Szenarien und Methoden informiert.

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Im Gastbeitrag Bioökonomie Magazin – Nachhaltiger Verkehr stellen Studierende des Studiengangs Technikjournalismus der Technischen Hochschule Nürnberg bioökonomische Ansätze vor, die die Mobilität der Zukunft unterstützen können.

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