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Biogasanlagen: The valley of death?

Jürgen Schenk betreibt seit 2010 eine Biogasanlage in Weisendorf. Das hergestellte Biogas aus Biomasse verbrennt der studierte Landwirt in Blockheizkraftwerken (BHKW) und speist den erzeugten Strom in das Stromnetz ein. Grüner Strom aus nachwachsenden Rohstoffen und organischen Abfallströmen sollen im Rahmen der Energiewende in Deutschland die Fluktuationen der Stromerzeugung aus Primärenergien ausgleichen. 2021 tritt eine Novelle des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes (EEG) in Kraft, die in der Branche Probleme mit sich bringt.

Die Vorlagebehälter sind aufgefüllt und die Biomasse rutsch kontinuierlich in die großen grünen Behälter. Die Biogasanlage betreibt Jürgen Schenk allein und der Prozess der Biogasherstellung läuft automatisiert. Gelegentlich stellt er Aushilfen ein. „Die Technik einer Biogasanlage ist leicht zu handhaben. Aber die politischen Rahmenbedingungen sind für uns die größten Probleme, die wir auch nicht unmittelbar beeinflussen können. Also ich traue mich nicht eine Aussage zu behaupten, was passiert, wenn wir 2030 aus dem EEG rauskommen“, berichtet der Anlagenbetreiber. „Da sind wir einer gewissen politischen Willkür ausgesetzt. Was heute ausgemacht wird, gilt in beispielsweise fünf Jahren nicht mehr“, beschwert er sich.

Jürgen Schenk vor seiner Biogasanlage. Im Gebäude befinden sich die Blockheizkraftwerke. Foto: Vivien Hermanns


Für Anlagen der ersten Stunde endet nach 20 Jahren die EEG-Förderung. Ab dem 01.01.2021 trat die neue EEG-Novelle 2021 in Kraft. „Biogas ist ein wichtiger Baustein auf dem Weg zu 100 Prozent erneuerbarer Energie und es gilt, jetzt den Bestand und das Know-How aus 20 Jahren zu erhalten und weiterzuentwickeln, damit wir die vielfältigen Potenziale von Biogas optimal nutzen können“, sagte Horst Seide, Präsident des Fachverbandes Biogas e.V., im November in einer Pressemitteilung des Fachverbandes. Zu diesem Zeitpunkt erwartete die Biogasbranche eine positive Trendwende mithilfe der Gesetzesänderungen. Der Fachverband beschrieb den Weiterbetrieb unter den bisherigen Rahmenbedingungen im EEG als unwirtschaftlich. Die Unzufriedenheit in der Branche wächst und die Unsicherheit nach der EEG-Förderung bei den Anlagenbetreibern steigt.

Flexibilisierung einer Biogasanlage

Als der studierte Landwirt mit der Planung seiner Biogasanlage begann, waren die Gemeinden auf der Suche nach erneuerbaren Energien. „Die Kommunen haben miteinander konkurriert, wer erneuerbare Energien vorweisen kann. Von einer Goldgräberstimmung zu sprechen ist vielleicht übertrieben, aber es war von allen Seiten her gewünscht. Die Politik hat das EEG zum dritten Mal positiv für Investoren gestaltet und auf diesen Zug bin ich damals aufgesprungen“, erzählt Jürgen Schenk. Auch die Kosten der Biomasse waren günstiger. Zehn Jahre später sieht es nicht mehr so aus. „Ich bin sehr skeptisch, ob das heute noch so funktionieren würde“, meint er auch mit Blick auf die Zukunft.

Biomasse Vorlagebehälter und Fermenter. Foto: Vivien Hermanns

Das Zögern der Anlagenbetreiber, die dem Trend in den Jahren 2010 und 2011 gefolgt sind, ist bereits seit einiger Zeit im Gespräch. Mit der Flexibilisierung wolle bis zur „Halbzeit“ des EEG gewartet werden. Dieser Zeitpunkt wurde mit der EEG-Novelle 2021 erreicht. Die Änderungen betreffen auch Biogasanlagenbesitzer. „Mit den in letzter Sekunde eingebrachten Änderungen konterkariert die Bundesregierung alle kleinen positiven Schritte, die sie im Laufe des letzten Jahres bei der EEG-Novelle gegangen ist“, kritisiert der Fachverbandspräsident Horst Seide. Der Verband sieht Verbesserungsbedarf, unter anderem da die Ausschreibungsmengen reduziert wurden und eine reelle Planung zum Weiterbetrieb der Biogasanlagen erschwert würde. „Gepaart mit der unsäglichen „Südquote“ sorge dies für eine massive Verunsicherung im Markt. Zudem seien neue Hürden eingezogen worden, die eine konsequente Flexibilisierung von Bestandsanlagen verhinderten“, führt Sandra Rostek, Leiterin des Hauptstadtbüros Bioenergie, die Kritik weiter aus.

Vorlagebehälter Fermenter und Nachgärer. Foto: Vivien Hermann

Bisher läuft die Biogasverbrennung in den BHKWs von Jürgen Schenk kontinuierlich und nicht flexibel. Die dabei entstehende Wärme wird zu einem Drittel zum Beheizen der Gärbehälter genutzt und zwei Drittel bei der Gärdüngeraufbereitung. Außerdem wird das Biogas in das naheliegende Gewerbegebiet der Gemeinde geleitet. Dort sind zwei weitere BHKWs des Landwirtes installiert. Deren Wärme nutzen die ansässigen Unternehmen zum Heizen. Der erzeugte Strom wird permanent in das Stromnetz eingespeist. „Der Staat probiert zwar die flexible Stromerzeugung zu fördern, aber erst langsam bildet sich ein Markt, der halbwegs vernünftige Zusatzerlöse ermöglicht. Bis jetzt gibt es Flexibilitätsprämien oder -zuschläge, aber es ist noch nicht getan einen zusätzlichen Motor hinzustellen. Da hängt viel mehr mit dran“, bemängelt der Anlagenbetreiber. Er zählt die Vorlagerung der Biomasse, die Gaslagerung, die Transformatoren zur Einspeisung und auch die Bereitschaft der Netzbetreiber auf.

“Die Flexibilisierung bei Biogasanlagen funktioniert, wenn die Biogasspeicherung erweitert und die BHKWs überbaut werden.”

Diplom-Wirtschaftsingenieur Sylvio Nagel, Mitarbeiter eines
Übertragungsnetzbetreibers

„Zweifach überbaut heißt in dem Fall, dass ich eine Nennleistung von beispielsweise 250 Kilowatt im Durchschnitt habe, aber es besteht die Möglichkeit von 0 bis 500 Kilowatt alles zu fahren. Also brauch ich entweder ein zweites Heizkraftwerk oder ein Größeres“, führt der ehemalige Mitarbeiter des Instituts für Energiewirtschaft der Universität Stuttgart (IER Stuttgart) weiter aus. Bis zu fünffach können Biogasanlagen überbaut werden, um in Zeiten eines erhöhten Strombedarfs zusätzlich installierte Leistungen einspeisen zu können. Einen Leitfaden stellt das Deutsche Biomasseforschungszentrum (DBFZ) in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik (IEE) zur Verfügung. Neben rechtlichen Rahmenbedingungen und Projektablaufphasen wird ebenfalls über technische Ansätze sowie die Marktintegration informiert. Zur Förderung der Ausbaumaßnahmen sieht das EEG bereits seit 2012 eine Flexibilitätsprämie vor. Seit dem EEG 2014 wurde das Modell mit einem Flexibilitätszuschlag ergänzt. Um den Ausbau zu erleichtern, wurde neben der Anhebung des Flexibilitätszuschlags der sogenannte Flexdeckel aufgehoben. Dieser war eine zeitliche Befristung der Vergütungsprämie für den Flexibilitätsausbau.

Biogasanlagen im System der Zukunft

Im Inneren der Gärbehälter blubbert die Biomasse. Das produzierte Biogas wird auf der Anlage bereits in zwei Endlagern gespeichert. „Wenn die ersten Biogasanlagen aus den Förderungen kommen, werden wir sehen, wie es bei denen weitergeht. Schaffen sie es sich wirtschaftlich auf die Füße zu stellen? Nehmen sie an Ausschreibungen teil? Bekommen sie Zuschläge? Da können wir jetzt zuschauen und abwarten. Aber das bringt auch eine gewisse Resignation mit sich. Wer weiß, was in zehn Jahren noch ist? Die Bereitschaft zu investieren sinkt und die Kritik nimmt zu“, meint Jürgen Schenk. Es könne also sein, dass viele Anlagen geschlossen werden.


„Das kann als Halfpipe-Funktion beschreiben werden“, konstruiert Sylvio Nagel den Vorgang einer möglichen Entwicklung. „Jetzt haben wir noch viele Anlagen, dann werden alle aussterben nach den Förderungen, also sind wir in der Mitte bei null. Aber wenn die Anlagen wieder sinnvoll für unser Energieerzeugungssystem werden, wird der Markt wieder ausgebaut.“ Bei Systemstudien würde die Problematik inoffiziell als „valley of death“ bezeichnet, erklärt der Wirtschaftsingenieur. Diese Entwicklung beruhe auf Annahmen, in denen die Geschwindigkeit des Ausbaus erneuerbarer Energien im Rahmen der politischen Zielsetzungen mit einbezogen wurde. „Erst bei einer Stromerzeugung ab 60 bis 70 Prozent aus erneuerbaren Energien, werden Biogasanlagen wieder sinnvoll. Im Moment bringen sie aber aus systemfinanzieller Sicht keinen Mehrwert. In Zukunft brauchen wir sie aber und dann könnte es sein, dass eine ganze Branche weg ist“, begründet Sylvio Nagel.

Ein Blockheizkraftwerk. Foto: Vivien Hermann

„Systemisch werden Bioenergieanlagen im Strom- und Wärmesektor mit zunehmendem Ausbau erneuerbarer volatiler Energieträger wieder wichtiger, da die Anlagen eine bereits verfügbare Flexibilitätsoption darstellen, die bei wachsenden Anteilen von fluktuierendem Wind- und Solarstromanteilen für die Versorgungssicherheit erforderlich sind“, schreibt das DBFZ in einer Pressemitteilung im Februar 2020. Der Atom- und Kohleausstieg insbesondere ab Mitte der 2030er Jahre verstärkt diese Entwicklung. Das Forschungszentrum beschäftigt sich mit der Frage, wie die verfügbaren Biomasseressourcen nachhaltig, effizient und effektiv im Energiesystem beitragen können. Im damaligen Forschungsvorhaben wurden Langfristperspektiven für Bioenergieanlagen nach 2020 in Kooperation mit dem IER Stuttgart analysiert.

„Wir haben einen Flickenteppich, das macht die Branche schwierig und Umsetzungen umständlich. Bei Atomkraft zum Beispiel ist das Gesetz klar geregelt, aber bei uns gibt es tausend Ecken, die wir ein bisschen irgendwie berühren.“

Jürgen Schenk über die problematische Gesetzeslage

Damit finde sich die in den 90ern aus Bastellösungen entstandene Branche ab. Aber manchmal komme es von allen Seiten. „Die Gesetze werden von Leuten an Schreibtischen gemacht, die nicht mehr rauskommen. Da kann man nur noch den Kopf schütteln“, klagt der Anlagenbetreiber und überprüft an der Steuerung, ob noch ausreichend Biomasse in den Vorlagebehältern ist.

Wenn ihr mehr zum Erneuerbaren-Energien-Gesetz, Europastrategien zur nachhaltigen Energieerzeugung, Energiegewinnung durch Biomasse und neuartige Energiespeichersysteme wie den geotechnischen Membran-Lageenergiespeicher wissen möchtet, hört euch diesen Podcast von Anja Christ, Vivien Hermans und Christian Kalis an.

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