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Vertical Indoor Farming: Hype oder Zukunft?

Frisches Obst und Gemüse steht uns jederzeit zur Verfügung. Doch die Bevölkerung vermehrt sich und die Anbauflächen für Lebensmittel neigen sich dabei dem Ende zu. Die Urbanisierung zwingt uns zum Handeln. Wie soll der Bedarf an frischen Lebensmitteln bewältigt werden? Eine Lösung für das Problem kann Vertical Indoor Farming sein. 

Eine Technologie, die zur Lösung des Problems beitragen kann, ist Vertical Indoor Farming. Eine Lebensmittelproduktion, die örtlich so nah wie möglich am Konsumenten stattfinden soll. Ziel ist dabei der Anbau von Lebensmitteln auf mehreren Ebenen. Betreiber von Indoor Farmen können dadurch die Nutzfläche effektiv verwenden. Durch das Indoor-Konzept können Lebensmittel unabhängig von natürlichen Gegebenheiten produziert werden. 

„Indoor Farming ist mit Sicherheit eine der Technologien, die in der Zukunft eine Rolle spielen werden“

Simon Vogel, Fraunhofer IME

Vogel ist Biotechniker am Fraunhofer Institut für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie in Aachen und hat mit seinem Team 2018 ‚OrbiPlant’ entwickelt. Eine Indoor Farm mit einem vollautomatischen System, bei dem kein menschliches Eingreifen mehr nötig ist. 

OrbiPlant hat ein Alleinstellungsmerkmal

Das Herzstück der Anlage ist ein wellenförmiges Förderband. Entlang von handelsüblichen Jalousien wachsen Salate und Kräuter in verschiedenen Farben und Sorten. Die Pflanzen dehnen sich in vertikaler Richtung aus. Ein violettes Licht – erzeugt aus blauen und roten Leuchtdioden – strahlt auf die Lebensmittel ab. Am Anfang des Förderbandes sind die Jungpflanzen eines Salates vorzufinden. Einige Meter weiter haben die Lebensmittel eine 20-tägige Reise und ein paar Höhenmeter hinter sich gelassen. Die produzierten Pflanzen sind dann bereit für die Ernte. 

Durch das wellenförmige Förderband wachsen die Pflanzen nicht mehr horizontal, sondern verändern sich vertikal im gravitativen Feld. Die Forscher wollen einen bestimmten Effekt ausnutzen: „Das führt dazu, dass bestimmte Pflanzenhormone freigesetzt werden. Denn die Pflanze versucht sich immer wieder neu auszurichten“, erklärt Vogel. „Dadurch werden Auxine freigesetzt. Das sind Pflanzenhormone, die für Biomasse Zuwachs generieren.“

Produzierte Pflanzen von OrbiPlant
Produzierte Pflanzen von OrbiPlant. Foto: Fraunhofer Institut IME

Zusammenspiel aus vielen Technologien

Bis die Betreiber die ersten fertigen Lebensmittel ernten konnten, mussten die Forscher ein Zusammenspiel aus vielen Technologien generieren. OrbiPlant besitzt ein aeroponisches Anbausystem. „Die Aeroponik wurde in den 80ern besonders von der NASA vorangetrieben“, sagt Vogel. 

Schon früh wurde nach einer Methode gesucht, Pflanzen ohne Sonne, Regen und Erde im Weltall züchten zu können. Astronauten sollen sich in der Zukunft auch von anderer Kost, als Astronautennahrung ernähren können. Forscher holten schließlich das Konzept zurück auf die Erde und entwickeln seitdem die Technologie weiter. „Im Moment ist es ein sehr bunter Markt. Jeder Starter hat so seine eigene Technologie, die er verwendet“, sagt Vogel. Laut dem Biotechniker wird die Aeroponik allgemein als eines der besten Anbausysteme gehandelt.

Ein Blick auf die Rückseite des Förderbandes ermöglicht die Sicht auf unzählige, feine Haarwurzeln der Pflanzen. Einzelne Wassertropfen perlen von den Wurzeln ab. Aus Leitungen sprüht feinster Nebel in alle Richtungen und versorgt die Pflanzen so mit Wasser.

„Das ist ein Düsensystem, was die Nährstofflösung und das Wasser, was mit Nährsalzen angereichert ist, im Wurzelbereich vernebelt“, sagt Vogel. Die Tropfengröße bewegt sich im Mikrometerbereich. Die Pflanzen nehmen die Tropfen über die Haarwurzelsysteme der Pflanzen auf und hängen dabei in der Luft. „Das hat den riesigen Vorteil, dass die Wurzeln gut mit Sauerstoff versorgt werden und schön atmen können“, erläutert der Biotechniker. 

Durch die Anbaumethode gewinnen Betreiber von Indoor Farmen einen entscheidenden Vorteil. Indoor Farmen können den Wasserverbrauch gegenüber den traditionellen Landwirtschaften deutlich verringern. „Man braucht nur noch zwei bis fünf Prozent des Wassers, was normalerweise eingesetzt werden müsste“, sagt Vogel. 

Das richtige Lichtrezept führt zum Erfolg 

Die Lichtrezeptur spielt bei Indoor Farming eine wichtige Rolle. Durch die richtige Bestrahlung können die Pflanzen unter dem kompletten Ausschluss des Sonnenlichts angebaut werden. Vogel und sein Team verwenden hauptsächlich rote und blaue LEDs, denn die Pflanze nutzt vor allem den blauen und roten Spektralbereich des Lichts. „Dort befindet sich Chlorophyll a und b. Da sind die entscheidenden Lichtsammelsysteme vorhanden“, sagt Vogel. Das blaue und rote Licht könne die Pflanzen vollständig versorgen. 

OrbiPlant versorgt die Pflanzen mit dem Prinzip 18/6. 18 Stunden bekommen die Salate und Kräuter Licht, sechs Stunden verbringen sie in der Dunkelheit. Durch entsprechende Lichtrezepte kann sogar beeinflusst werden, ob der Salat etwas knackiger oder weicher wird. „Beim Rucola gibt es Versuche, dass man gegen Ende, mit umstellen des Lichtrezeptes mit mehr Blauanteil, bis zu der doppelten Menge Vitamin C im Rucola angereichert hat. Man kann intensivere und gesundere Geschmäcker durch Veränderungen der Lichtrezepte erreichen“, sagt Vogel. Vertical Indoor Farming  bietet dadurch den Vorteil, dass der komplette Prozess sehr gut gesteuert werden kann. Betreiber von Indoor Farmen können Pflanzen nach dem Gusto der Konsumenten produzieren. 

Doch in der Lichttechnologie liegt aktuell noch das größte Problem. Der hohe Energieverbrauch sorgt für hohe Betriebskosten. Dies bestätigt auch Sophie Mok. Sie ist Expertin für naturbasierte Lösungen und urban food systems am Fraunhofer Institut in Stuttgart. 2018 wirkte sie als Autorin einer Studie mit dem Titel„Urban farming in the city of tomorrow“ mit. Laut Mok geht der Trend dahin, die Energie vor Ort zu produzieren. „Sei es durch Solarstrom, Biogas oder Wärmetauscher. Es wird versucht, eine lokale Kreislaufwirtschaft und [einen] Energiekreislauf zu realisieren“, sagt die Expertin. 

Vertikale Farmen finden bereits Anwendung 

Das Bewusstsein für nachhaltige Produkte scheint vorhanden. „Wir sehen im Bereich Konsumentenverhalten, dass zumindest hier ein sehr großer Trend hin zu Regionalem, Saisonalem, Biologischem und Gesundem geht. Es gibt auch schon einige Initiativen wie Infam, die auch sehr erfolgreich und gut von den Konsumenten angenommen werden“, meint Mok.  

Infarm Berlin
Vertical Farmen finden bereits Anwendung. Foto: Anna Wintermayr

Ortswechsel. Berlin, ein Supermarkt am Nollendorfplatz. Gehen Kunden an den Obst- und Gemüseregalen vorbei, sticht ihnen zuerst ein Plakat mit dem Spruch „Vertical farming has arrived“ ins Auge. Mitten im Supermarkt steht ein Glasschrank, der einem Kühlschrank sehr ähnelt. Unter violettem Licht wachsen in einer Vertical Farm auf verschiedenen Ebenen Salate, Koriander, Basilikum oder Pak Choi. „Das ganze Jahr über, direkt hier, wo du bist“, steht auf der Glasscheibe der Farm. Um den Schrank herum stehen frisch geerntete Kräuter, die ein frisches Aroma verbreiten. 

Bereits heute lässt sich in deutschen Supermärkten bestaunen, dass das Konzept von Vertical Farmen wirklich funktioniert. Infarm ist ein Unternehmen aus Berlin, das im Inneren von Glasschränken eine Vertical Indoor Farm integriert und entwickelt hat. Die Schränke stehen hauptsächlich in Supermärkten und Restaurants. Lieferwege lassen sich dadurch auf ein Minimum reduzieren, da Fachkräfte die Salate und Kräuter direkt vor Ort ernten können. Monatlich ernten Mitarbeiter von Infarm 500.000 Pflanzen weltweit.

Marcella Murolo ist Kundin eines Berliner Supermarktes, der Infarm Produkte anbietet. „Das Gefühl dabei, solche Produkte zu kaufen, ist ein besseres“, meint sie.  Der regionale Bezug sei besonders bedeutend. „Wichtig ist mir dabei auch, dass ich weiß, dass der Transportweg nicht besonders lang war.“

Lokale Produktion ist nicht immer sinnvoll

Frischer Salat aus einer Vertical Indoor Farm. Foto: Anna Wintermayr

Doch auch Indoor Farmen können nicht alle Produkte regional produzieren. „Der globale Handel und die Spezialisierung in bestimmten Produktbereichen bringt natürlich auch große Vorteile“, sagt Mok. Es sei nicht pauschal gesagt, dass immer alles selbst im kleinen Maßstab produziert werden müsse. „Aber bestimmte Produkte wie Blattgemüse, Kräuter oder Erdbeeren müssen nicht um die halbe Welt fliegen, um auf dem Teller zu landen“, so die Expertin. 

Die Bevölkerung wächst. Vertical Indoor Farming wird in Zukunft eine der Schlüsselrollen im Bereich Lebensmittelsicherung sein. Klar ist auch, dass wir weiterhin die klassischen Landwirtschaften oder auch Gewächshäuser für die Lebensmittelproduktion benötigen. Zukünftig können aber sicherlich in der Stadt angesiedelte Vertical Indoor Farmen einen Teil unserer Nahrung produzieren. 

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