Motorrad Unfall
14. Dezember 2016
Wenns mal kracht: Airbag-Schutz für Motorradfahrer
Motorradfahren ist ein spaßiges, aber manchmal auch gefährliches Hobby. In der Schutzkleidung integrierte Airbag-Systeme sollen das Fahren sicherer machen.
Ein schönes aber gefährliches Hobby
„Spinnst du? Das ist doch viel zu gefährlich. Da fährst du dir doch den Hals ab“. Diesen oder ähnliche Sätze bekommen Jugendliche häufig zu hören, wenn es darum geht einen Motorradführerschein zu machen. Eltern sind besorgt um die Sicherheit der Kinder, schließlich ist Motorradfahren nach wie vor ein gefährliches Hobby. Laut ADAC-Unfallstatistik war 2014 jeder sechste bei einem Verkehrsunfall Getötete in Deutschland ein Motorradfahrer. Dabei war nur in acht Prozent aller Unfälle ein Motorradfahrer verwickelt.
Motorradunfälle sind also meistens schwerere Unfälle, was einfach dadurch zu erklären ist, dass einem Motorrad die schützende Karosserie eines Autos fehlt. Der Fahrer ist den bei einem Unfall auftretenden Kräften frei ausgeliefert. Dementsprechend schwierig ist es auch den Fahrer vernünftig zu schützen ohne die Bewegungsfreiheit und den Fahrspaß völlig einzuschränken. Eine Verbesserung der Sicherheitslage könnten hochentwickelte Airbag-Systeme liefern, welche in der Schutzkleidung des Fahrers untergebracht sind
Erste Airbag-Systeme für den Motorradfahrer
Nach dem Siegeszug des Airbags im Automobilbereich wurde versucht die Technik auch in andere Bereiche zu adaptieren. Bereits seit der Jahrtausendwende existieren Airbag-Westen und Jacken für Motorradfahrer. Das Funktionsprinzip ist denkbar einfach. Eine Reißleine aus der Jacke wird am Motorrad befestigt. Wird die Reißleine bei einem Unfall gespannt, löst der Airbag aus. Das Luftpolster wird mithilfe einer CO2-Kartusche aufgeblasen und legt sich in kürzester Zeit schützend über empfindliche Teile des Oberkörpers. Der Auslösemechanismus ist kraftabhängig, sodass ein versehentliches Auslösen – zum Beispiel beim Absteigen – verhindert wird.
Zahlreiche Tests haben jedoch ergeben, dass manuelle Airbag-Systeme zu langsam sind. Die ersten 100 Millisekunden nach dem Aufprall sind entscheidend. Es vergeht zu viel Zeit bis die Leine gestrafft ist. Zusätzlich erwiesen sich die CO2-Kartuschen zur Füllung des Polsters ebenfalls als zu langsam. Daher forscht der italienische Schutzbekleidungshersteller Dainese seit dem Jahr 2000 an sensorgesteuerter Airbag-Schutzbekleidung. Bis zum ersten Test 2006 vergingen sechs Jahre Entwicklungszeit. Das System wurde zunächst für den Motorsport entworfen und ab 2007 Stück für Stück an Fahrer der Motorrad-Weltmeisterschaft weitergegeben. Ab 2009 folgten auch die ersten Tests eines straßentauglichen Ablegers.
Unterschiedliche Anforderungen auf Straße und Rennstrecke
Seit 2011 bietet Dainese seine Airbag-Lösungen auch für den Endkunden an. Für die Rennstrecke als komplette Lederkombi oder als „Armor“, einer Art Unterkombi, die unter den meisten herkömmlichen Rennanzügen getragen werden kann. Für die Straße als Jacke und als Weste, welche ebenfalls unter die meisten herkömmlichen Jacken getragen werden können. Systeme für Straße und Rennstrecke müssen aufgrund ihrer Anforderungen getrennt werden. Da auf der Straße zum Beispiel Zusammenstöße mit Autos sehr häufig sind, muss bei Straßen-Systemen ein anderer Bereich des Körpers geschützt werden, als bei Rennunfällen. Bei Zusammenstößen sind vor allem Rücken, Brust und die Schlüsselbeine gefährdet. Rücken und Brust vor allem durch den Aufprall auf den Lenker oder das Fahrzeug des anderen Unfallteilnehmers. Schlüsselbeine, da bei jeglicher Art von Motorradunfall der Helm auf Selbige prallen kann und schnell ein Bruch entsteht. Laut Dainese und TÜV Süd reduziert der Airbag die auf den Rücken wirkende Aufprallenergie im Vergleich zu einem herkömmlichen Rückenschutz um 72 %.
Auf der Rennstrecke hingegen sieht ein typischer Unfallhergang ganz anders aus. Die meisten Stürze sind durch ein Wegrutschen des Motorrads bestimmt, sei es über das Vorderrad (Lowsider) oder das Hinterrad (Highsider). Beide Arten von Stürzen können zahlreiche Gründe haben: Überbremsen am Eingang der Kurve, zu kalte Rennreifen, Berührung im Zweikampf mit einem Konkurrenten und noch viele mehr. Zum Schutz des Fahrers bedeckt der Airbag dabei Schultern, Hals und die Schlüsselbeine. Mithilfe des Airbags kann die auf die Schultern wirkende Aufprallenergie um 90 % reduziert, und Verletzungen vorgebeugt werden. Mittlerweile verwenden fast alle Fahrer der Motorrad-WM sensorgesteuerte Airbag-Lederkombis von Dainese oder Alpinestars. Ab der Saison 2018 ist ein Airbag-System sogar Pflicht.
Funktionsweisen der Airbag-Systeme
Die Rennsysteme sind mit einer umfassenden Sensorik im Rückenprotektor der Lederkombis ausgestattet, bestehend aus drei Beschleunigungssensoren, drei Gyrometern sowie einem GPS-Tracker. Das gesamte System bezieht die benötigte Energie aus einem kleinen Akku, der Strom für acht Stunden Rennstreckeneinsatz liefert. Anhand der Daten der Sensoren kann das System mithilfe eines Algorithmus kritische Situationen bewerten und über ein Auslösen entscheiden. Zudem ist das System mit einem Gewicht von 650 Gramm relativ leicht, sodass der Fahrer keinen Zeitverlust auf der Strecke oder eine eingeschränkte Bewegungsfreiheit hinnehmen muss.
Das Straßensystem funktioniert mit externer Sensoren, die am Motorrad angebracht sind. Zwei dreiachsige Beschleunigungssensoren an den beiden Gabelholmen und ein Rutschsensor unter der Sitzbank senden Daten an einen kleinen zentralen Rechner, der am Lenker angebracht wird. Dieser leitet, wenn nötig, das Auslösesignal an die Jacke weiter. Mithilfe von Kaltgasgeneratoren kann der Airbag innerhalb von 30 Millisekunden befüllt werden. CO2-Kartuschen brauchen mehr als doppelt so lang. Beide Systeme haben eine Interventionszeit von gerade mal 45 Millisekunden und lösen damit um ein vielfaches schneller aus als die klassischen Reißleinensysteme.
Fortschrittlich aber nicht perfekt
Zwar sind die modernen Airbag-Schutzausrüstungen von Alpinestars und Dainese technisch sehr ausgefeilt und haben ihre Funktionalität bereits in zahlreichen Fällen unter Beweis stellen können, dennoch gibt es einige Faktoren, die sich einer noch weiteren Verbreitung in den Weg stellen. Zunächst einmal der Preis: für eine Rennkombi mit Airbag muss man derzeit mindestens 2000 € bereithalten, in etwa das Doppelte was für eine herkömmliche Kombi von Dainese bezahlt werden muss. Des Weiteren muss die Anbringung der externen Sensoren für das Straßensystem „D-air Street“ von einem offiziellen Dainese Vertriebspartner übernommen werden. Laut dem ADAC und der Zeitschrift MOTORRAD ist zudem ein noch ausgeprägterer Schutz der Halswirbelsäule für die Zukunft wünschenswert.
Rein theoretisch wäre auch ein ganz anderer Ansatz der Unterbringung des Airbags denkbar. Nämlich die Integration des Airbags in das Fahrzeug, genau wie beim Auto. Der japanische Motorradhersteller Honda verfolgt dieses Prinzip bereits seit 2006 bei seinem Modell Gold Wing. Was vor allem bei Zusammenstößen hilfreich erscheint ist bei anderen Motorradtypen nur schwer realisierbar. Die Gold Wing ist eines der größten und schwersten Motorräder auf dem Markt. Ihre ausladende Frontpartie erlaubt die Unterbringung eines solchen Systems problemlos. Kompakter gebaute Maschinen – zum Beispiel Sportmotorräder– bieten nicht genügend Platz. Zudem lässt die entspannte und aufrechte Sitzposition auf der Gold Wing eine gute Wirkung des Airbags zu, da der Fahrer mit dem Oberkörper geradezu in den Airbag rutscht. Auf anderen Maschinen ist der Fahrer in einer gebückteren Haltung unterwegs. Hier würde der Airbag nur eine geringe Effektivität zeigen.
Quelle Titelbild: Petra Bosse/pixelio.de