Toggle Navigation

11 Millionen Tonnen Lebensmittel in der Tonne

Eine zu große Menge, finden Containeraktivist*innen. Deswegen gehen sie regelmäßig containern und retten so Lebensmittel aus den Mülltonnen der Supermärkte. Damit machen sie sich wegen Diebstahl und unter Umständen auch durch das Aufbrechen von Mülltonnen wegen Hausfriedensbruch strafbar. Es kommt zwar selten zu Anzeigen, trotzdem wird immer wieder über die Strafbarkeit von Containern diskutiert.

In einem bekannten Fall wurden die beiden Studentinnen Caro und Franzi zu einer Geldstrafe unter Vorbehalt verurteilt. Im Zuge dessen haben die beiden 190.000 Unterschriften zur Durchsetzung ihrer Petition gesammelt. In dieser fordern sie eine Gesetzesänderung zur Entkriminalisierung von Containern.

Was steckt hinter dem Begriff “Containern”?

Containern, auch dumpstern (=Mülltauchen) genannt, bezeichnet das Herausnehmen von weggeschmissenen Gegenständen. Meistens sind das Lebensmitteln aus Mülltonnen von Supermärkten. Hintergrund ist für viele Aktivist*innen dabei weniger der finanzielle Aspekt – weil sie Lebensmittel konsumieren, für die sie nicht gezahlt haben- vielmehr geht es ihnen um einen Protest gegen die Wegwerfgesellschaft. Denn in Deutschland werden fast 11 Millionen Tonnen Lebensmittel weggeschmissen. Das geht aus einer Erhebung des Statistischen Bundesamtes hervor. Dazu gehören neben übrig gebliebenen Speiseresten und nicht verkauften Lebensmitteln auch nicht essbare Bestandteile wie Nuss- und Obstschalen, Strünke und Blätter, Kaffeesatz oder Knochen.

Der Großteil mit rund 60 Prozent aller Lebensmittelabfälle landet in den Mülltonnen privater Haushalte. Gründe dafür sind laut Verbraucherzentrale: „Zu viel eingekauft, schlechte Lagerung, Verwechslung von Produkten, Wegwerfen und Produktteilen, zum Beispiel Apfelschalen und Brotkrusten, Zubereitung zu großer Portionen und Wegwerfen von Resten.“ In deutschen Supermärkten werden jährlich 0,8 Tonnen weggeschmissen. Ursachen hierfür sind „Temperaturveränderungen, ästhetischer Standard, Verpackungsmängel und Überbestand“, wie das Bundesministerium in seinen aktuellen Bildungsmaterialien veröffentlicht.

Doch was tun gegen die Lebensmittelverschwendung?

„Containern selbst ist leider nicht die Lösung für dieses ganze Problem“, erklärt Alex Cio in einem seiner Videos. Der Online-Aktivist und Filmemacher containert selbst und spricht auf seinen Kanälen regelmäßig öffentlich über Themen wie Lebensmittelverschwendung und Umweltschutz. Das Problem fing laut Cio schon viel früher an, da für Lebensmittel, die am Ende weggeschmissen werden, unnötig Ressourcen für Produktion und Transport aufgewendet wurden. Zusätzlich muss im eigenen Haushalt ein Umdenken stattfinden, indem der eigene Konsum überprüft wird.

Containern sei eher eine moralische Protestaktion. Neben Containern gibt es auch andere Möglichkeiten Essen zu retten, wie zum Beispiel foodsharing. Das ist ein internationales ehrenamtliches Netzwerk, um übriggebliebene Lebensmittel zu retten. In Nürnberg gibt es aktuell drei sogenannte „Fairteiler“, an denen Lebensmittel abgegeben und verteilt werden. Die gesamte Bewegung verschreibt seit der Gründung 2012 mehrere tausende kooperierende Betreibe.

Doch das ist noch lange keine Mehrheit. Laut Cio seien viele Supermärkte oft wenig kooperativ was Lebensmittelverwertung angeht. Meist sortiere nur eine Person pro Filiale die Lebensmittel aus. Wenn diese krank ist, würde noch mehr weggeschmissen werden.

Umdenken in den Supermärkten erzielen?

Eine Lösung, die die Politik schaffen könnte, wäre eine Gesetzesänderung, die Supermärkte dazu verpflichtet, genießbare Lebensmittel nahe oder über dem Mindesthaltbarkeitsdatum zu spenden, wie das bereits in Frankreich der Fall ist. Mit den größeren Mengen an Essen, die dadurch Organisationen wie der Tafel zur Verfügung stehen, könnte man mehr bedürftige Menschen erreichen, die aktuell besonders unter der Inflation leiden. Doch bevor eine derartige Gesetzesänderung in Kraft tritt, schlägt Cio vor die Mitarbeiter*innen von Supermärkten zu deren Lebensmittelresteverwertung zu befragen. Angenommen es fragen täglich 30 Kund*innen – Würde das zum Umdenken anregen?

Die anonymen Antworten fünf Mitarbeiter*innen bekannter Supermarktketten

Die anonymen Antworten fünf Mitarbeiter*innen bekannter Supermarktketten. Grafik: Elisabeth Seiler

Eine anonyme Befragung von fünf bekannten Supermarktketten hat ergeben, dass zwei von fünf Supermärkten, die nicht verkauften Lebensmittel wegschmeißt. In einem Punkt waren sich hingegen alle einig: Der Müll wird getrennt. Drei von fünf Supermärkten regeln ihre Bestellungen für die jeweilige Filiale selbst, aufgrund der unterschiedlichen Verkaufszahlen. Eine Filiale betonte dabei, dass die Stückzahlen der Produkte in einer Bestellung, streng geprüft werden.

Wie bei den Supermärkten bleibt eine große Uneinigkeit rund um das Thema Lebensmittelverwertung und Containern. Auch für den Gesetzgeber ist es Auslegungssache, inwiefern er containern sanktioniert. Diskussionspunkt ist häufig, ob es sich um eine fremde oder herrenlose Sache handelt und ob neben Diebstahl auch Hausfriedensbruch begangen wurde. Im Fall der beiden Studentinnen Caro und Franzi bleibt abzuwarten, ob sie mit ihrer Petition zur Entkriminalisierung erfolgreich sein werden. Aktuell bereiten sie sich auf die Übergabe ihrer Petition an Bundesminister Buschmann im November vor. Danach wird im März 2023 darüber verhandelt. Auf ihrem Blog informieren sie regelmäßig über den aktuellen Stand der Petition.

Über den Autor

Sophie Alscher

Sophie Alscher

Meine Artikel:

Kommentiere