Das Spiel Farbkanone mit einer weiteren Steuerungseinheit von genesis, der Tastensteuerung (Foto: Karoline Grimm).
9. Oktober 2015
Auf Knopfdruck fliegt Farbe ins Gesicht – genesis erobert die Herzen von Behinderten
Einen Schritt nach vorne gehen oder etwas in die Hand nehmen – was andere Menschen tagtäglich nebenbei erledigen, stellt für Menschen mit Behinderung oft eine Hürde dar. Die Erfinder des Projekts „genesis“ an der Technischen Hochschule Nürnberg, entwickeln deshalb Computerspiele für geistig und körperlich Behinderte, bei denen nicht nur der Lerneffekt im Vordergrund steht, sondern auch der Spaß.
Sie klickt mit der Maus und trifft mitten auf die Nase. „Volltreffer!“, platzt es aus Kerstin* heraus. Ihr Lachen klingt durch den Raum des Chili-Treff der Diakonie Neuendettelsau. Blaue, rote und gelbe Farbkleckse fliegen auf ein Foto, das auf dem Computerbildschirm zu sehen ist. Mit einer Kanone zielt Kerstin in die Richtung, in die die Farbkugeln fliegen sollen. Anschließend stellt sie eine Farbe ein – und Schuss!

Kerstin ist geistig behindert und kann ihre rechte Hand nicht richtig bewegen. Für sie ist es nicht leicht mit einer Computermaus umzugehen. Doch das Spiel ist genau auf ihre Bedürfnisse abgestimmt. Aus dem Bildschirm grinst ihre Betreuerin – das Foto ihres Gesichts voller Farbkleckse. Obwohl das Spiel sehr einfach ist, verbessert es Kerstins Beweglichkeit und fördert die Kreativität.
Der genesis Mediator ermöglicht Personalisierung
Seit Anfang 2005 entwickeln Professoren und Studenten der Technischen Hochschule Nürnberg Computerspiele für Menschen mit körperlicher und geistiger Behinderung. Die Spiele des Projekts genesis – Spielen ohne Grenzen können Therapien unterstützen oder einfach nur Spaß machen.
Das Besondere an genesis ist der sogenannte Mediator. Damit können Behinderte oder Betreuer die Spiele auf ihre Bedürfnisse abstimmen, indem sie beispielsweise ein Foto der Familie oder der Freunde als Hintergrund einstellen.

„Es soll jeder möglichst leicht damit umgehen können. Wir bieten verschiedene Spiele, die nur einen Rahmen bilden. Jedes Spiel ist veränderbar“, sagt Benjamin Gerbig, studentischer Mitarbeiter von genesis. An der Programmierung der Spiele, für die die Professoren eine eigene Programmiersprache entwickelt haben, sind auch Informatikstudenten beteiligt. So lernen sie die Technik hinter der Software und nebenbei entstehen Spiele für das Konzept. „Sie machen etwas Soziales und wirken an einem realen Projekt mit, was ihnen für das spätere Leben wahnsinnig viel bringt“, sagt Helmut Herold, Informatiker und wissenschaftlicher Leiter von genesis.
Die Behinderten können etwas bewirken
Die Zusammenarbeit zwischen der Diakonie Neuendettelsau und den Mitarbeitern von genesis klappte von Anfang an. „Für uns ist das total faszinierend gewesen, weil da wirklich zwei Welten aufeinander treffen. Die Welt der Informatiker und Techniker und wir in unserer sozialen Welt“, erklärt Inge Hauf, Heilpädagogin der Diakonie. Das Wichtigste an den Spielen sei, dass die Menschen mit Behinderung merken, dass sie selbst etwas bewirken oder verändern können. Seit über drei Jahren arbeitet die Einrichtung mit der TH Nürnberg zusammen. Die Diakonie und die Entwickler stehen in ständigem Kontakt, um zusammen Ideen zu sammeln.
genesis hilft Glückshormone auszuschütten
Eine von genesis entwickelte Steuerung mit einer Tanzmatte kommt bei vielen Behinderten am besten an. Die Grundidee ist, dass körperlich beeinträchtigte Menschen ihre Motorik trainieren. Der Spieler bedient die Matte, indem er sich in die Mitte stellt und mit den Füßen die Bedienfelder antippt. Durch Spiele fallen Therapien leichter, die sonst Überwindung kosten. In Neuendettelsau ist die Matte so beliebt, dass auch die Bewohner damit spielen dürfen, die sie nicht zu Therapiezwecken brauchen.

Das Spiel Glückskoffer erinnert an die Fernseh-Spielshow Deal or no Deal. Bei einer Partie kann der Spieler virtuelle Preise im Wert von einem bis einer Million Euro gewinnen. Susanne* sucht sich den Koffer mit der Nummer 23 aus. Sie hofft, dass sich darin die Million versteckt. „Das könnte ich den ganzen Tag spielen“, grinst sie. Susanne neigt zu Verhaltensauffälligkeit und ist suchtgefährdet. Das Spiel hilft Glückshormone auszuschütten und lenkt sie ab.
Zukünftig nur ein Knopfdruck
Benjamin Gerbig ist seit 2012 Mitarbeiter des Projekts genesis. Er pflegt die Kontakte mit den Heimen, die Interesse an den Spielen haben oder sie bereits verwenden. Außerdem kümmert er sich um die Inhalte. So entstehen ständig neue Ideen und Spiele. „Für die Zukunft ist eine weitere Version geplant, mit der auch wirklich stark beeinträchtigte Menschen spielen können“, sagt er. „Das funktioniert dann nur mit einem Knopfdruck. Zum Beispiel das Steuern eines Autos, mit dem ich dann über einen Knopfdruck verschiedenen Gegenständen ausweichen kann“.
*Name zum Schutz der Privatsphäre von der Redaktion geändert