Toggle Navigation

Digitaler Zwilling: Revolution in der Unterwasserlandwirtschaft

Erdbeeren wachsen auf dem Feld, oder? Nein, nicht nur. Erdbeeren gibt es auch aus dem Meer. Das klingt erstmal verrückt und ist es vielleicht auch.

Nemo’s Garden ist ein ambitioniertes Projekt, das sich auf den Anbau von landwirtschaftlichen Gütern unter Wasser, nämlich im Meer, spezialisiert hat. Zusammen mit der Plattform Siemens Xcelerator von Siemens Digital Industries Software werden die Unterwasser-Gewächshäuser anhand eines umfassenden digitalen Zwillings vom Land aus überwacht und gesteuert. Wie das genau funktioniert, erklärt Tom Tengan von Siemens, der selbst an der Zusammenarbeit mit Nemo’s Garden beteiligt ist.

Tom Tengan ist Direktor des Digital Enterprises bei Siemens. In seinem Verantwortungsbereich liegt unter anderem, die Geschäftsziele der Kunden mit den Strategien zur Nutzung eines robusten und skalierbaren Lösungsportfolios in Einklang zu bringen. In seinen 25 Jahren bei Siemens hat Tengan mit Kunden aus den verschiedensten Industriebereichen zusammengearbeitet. Sein Ziel ist es, eine Schnittstelle zwischen Menschen, Prozessen und Technologien zu erschaffen. Tom ist Absolvent der University of Hawaii in Manoa und hat einen Bachelor in Maschinenbau.

© Siemens

Anwender*innen des Digitalen Zwillings

Wer ist die Zielgruppe von Siemens Xcelerator?

Tengan: Früher bestand unsere Zielgruppe eher aus Produktentwicklern, wie zum Beispiel Boeing, Apple oder Medtronic, die greifbare diskrete Produkte herstellen. Sie nutzen unsere Plattform, um ihr Fahrwerk oder den Rumpf eines Flugzeugs zu entwerfen und zu analysieren. Heute sind die traditionellen Grenzen, wie unsere Produkte verwendet werden, so gut wie verschwunden.

Nemo’s Garden ist ein hervorragendes Beispiel dafür. Sie verwenden unsere Software nicht nur, um die Biosphären zu analysieren, die die sichere Umgebung für das Wachstum von Pflanzen unter Wasser schaffen. Außerdem verwenden sie für den gesamten Anbau- und Ernteprozess. Sie bauen einen digitalen Zwilling der Umwelt, des Bodens, der Luft oder der Feuchtigkeit, um zu überwachen, was dort passiert. So wissen sie, dass die Pflanzen erfolgreich wachsen. Wenn die Pflanzen irgendwelche Probleme haben, wird das mithilfe unserer Siemens Xcelerator Portfolios und unseren Hardwarelösungen erfasst. So werden automatische Anpassungen an dieser Umgebung vorgenommen. Das Endprodukt, das die Landwirte und auch Nemo’s Garden an ihre Kunden liefern, ist die Pflanze. Das ist der größte Unterschied zu unseren Industriekunden. Der Punkt ist, dass die potenziellen Anwendungen und Zielkunden aus allen Bereichen kommen können.

Nemo’s Garden ist ein Unterwasserlabor, welcher an der ligurischen Küste der italienischen Stadt Noli liegt. Seit 2012 forscht dort der Unternehmer Sergio Gamberini mithilfe der Ocean Reef Gruppe an einem nachhaltigen Anbau von landwirtschaftlichen Produkten. Seit 2019 nutzt Nemo’s Garden die offene, digitale Business-Plattform Siemens Xcelerator, um einen digitalen Zwilling der Unterwasserfarm nachzubilden.

Nemo’s Garden forscht an einem nachhaltigen Anbau von landwirtschaftlichen Produkten. Quelle: Ocean Reef Group

Haben Sie weitere Kunden die aus der Landwirtschaft stammen?

Tengan: Die Anwendungsbereiche unterscheiden sich bei den verschiedenen Kunden. Einige unserer Kunden nutzen unsere Lösung auf traditionelle Weise. Beispielsweise um neue landwirtschaftliche Geräte oder Technologien für die Pflanzenernte zu entwickeln. Andere Kunden gehen aber schon einen Schritt weiter. Nemo’s Garden ist ein exzellentes Modell, welches veranschaulicht, dass es nicht nur darum geht, einen digitalen Zwilling der landwirtschaftlichen Geräte zu schaffen. Sondern einen kompletten digitalen Zwilling der Farm, einschließlich der Pflanzen, des Bodens, der Luft und des gesamten Ökosystems innerhalb der Biosphäre und der Biosphäre selbst.

Digitaler Zwilling als Chance

Wo sehen Sie die Vorteile von Digitalen Zwillingen?

Tengan: Einer der Vorteile des digitalen Zwillings besteht darin, dass damit herausgefunden werden kann, wie Pflanzen auf der ganzen Welt an verschiedenen Orten, in unterschiedlichen Tiefen und unter verschiedenen klimatischen Bedingungen angebaut werden können.
Dazu muss die Sonneneinstrahlung eines Ortes bekannt sein und wie sie den Wachstumszyklus in der Biosphäre beeinflusst. Das wiederum beeinflusst wichtige weitere Entscheidungen. Es ist wichtig zu wissen, was die Sonne an diesem Ort anrichten wird. Das kann alles virtuell erfolgen, sodass man nicht mehr an allen verschiedenen Orten testen muss, ob und wie sich etwas anbauen lässt. Wir verfügen über eine enorme Menge an digitalen Daten über das Klima und die Sonneneinstrahlung auf jedem beliebigen Teil des Ozeans überall auf der Welt. Damit können wir Simulationen durchführen, sodass wir wissen, wie sich das Klima genau auswirkt und wie die Kuppeln in diesem Bereich aussehen sollten. Der Nutzen ist also enorm, denn jetzt werden die Pflanzen praktisch dort angebaut, wo sie gebraucht werden, und die Landwirtschaft muss nicht mehr um die ganze Welt transportiert werden, was von vornherein untragbar ist. Wenn Sie versuchen, Pflanzen überallhin zu verschiffen, anstatt sie in der Nähe des Bedarfsortes anzubauen, verursachen Sie wahrscheinlich ein noch größeres Problem mit dem CO2-Fußabdruck.

Pflanzen aus dem Meer

Was sind die ökologischen Risiken des Unterwasseranbaus?
Tengan: Das ist immer ein heikles Thema. Man kann fast nichts im Meer oder an Land tun, ohne dass sich jemand Gedanken darüber macht, wie man die Ästhetik oder das Ökosystem des Wassers beeinträchtigt. Es gibt also eine enorme Anzahl von Vorschriften und Dingen, die wir prüfen müssen, um herauszufinden, wie dies in einer skalierbaren Art und Weise geschehen kann, die den Bedürfnissen der Umwelt gerecht wird, sodass wir die natürliche Schönheit der Erde nicht zerstören.

Eines der Dinge, die wir in einigen Fällen festgestellt haben, ist, dass es im Fall von Nemo’s Garden von Vorteil sein kann, diese Gärten an bestimmten Orten anzulegen. Dort, wo die Gezeiten eine starke Erosion verursachen, können sie eine gewisse Dämpfung bewirken, die wir simulieren können. So wird die Erosion in bestimmten Strand-Bereichen minimiert. Es könnte also Situationen geben, in denen wir die Gärten tatsächlich installieren und damit der Umwelt helfen und schädliche Auswirkungen der Meeresströmung verhindern können. Es ist also alles sehr komplex.

Ich würde sagen, wir sind extrem achtsam in allen Bereichen. Für Ocean Reef und Nemo’s Garden ist es eine große Herausforderung, mit allen Gemeinden und Umweltorganisationen zusammenzuarbeiten, um sicherzustellen, dass die Umwelt nicht geschädigt wird.

Wird der Unterwasseranbau in Zukunft für die Massenproduktion geeignet sein oder ist es zum jetzigen Zeitpunkt noch schwer zu sagen, wie die Zukunft aussehen wird?

Tengan: Wir sind sehr optimistisch, dass wir mit dem, was wir bisher bewiesen haben, durchaus in der Lage sein werden, in der Zukunft eine sinnvolle Versorgung mit Lebensmitteln an den Orten des Bedarfs zu gewährleisten. 70 Prozent der Erde sind mit Wasser bedeckt. Natürlich werden wir Nemo’s Garden nicht mitten im Ozean bauen, aber es gibt überall auf der Welt eine enorme Menge an Küstenlinien, an denen es kein Ackerland gibt. An den Rändern Afrikas oder Südamerikas gibt es viele Gemeinden, die sich nicht für den Anbau von Ackerland eignen. Man kann also den Ozean nutzen, aber sollte dabei darauf achten, welche Stelle man nutzt, um die Ökologie nicht zu zerstören. Wir können auf jeden Fall Farmen in diesen Biosphären bauen, die groß genug sind, um sehr große Mengen an Ernte zu produzieren.

Das gilt vor allem für Nemo‘s Garden. Sie haben im Grunde alle Pestizide und Schädlinge aus dem Wachstum der Pflanze eliminiert. Man hat die Fähigkeit verbessert, alle Nährstoffe zu überwachen und zu liefern, die man braucht, um im Grunde ein Superfood zu schaffen. Bei der Ernte dieser Produkte haben wir durch eine Analyse der Pflanzen festgestellt, dass sie mit viel mehr Nährstoffen angereichert sind als die Pflanzen, die auf dem Acker angebaut werden und mit Pestiziden und dergleichen belastet sind. Damit haben wir die Möglichkeit, eine wirklich nährstoffreiche Landwirtschaft zu betreiben, die für die Kunden viel gesünder und effektiver ist.

Siemens und Nemo’s Garden

Inwiefern hat Siemens von der Zusammenarbeit mit Nemo’s profitiert?

Tengan: Wir haben viel über die Arbeit mit Anwendungen gelernt, die außerhalb unseres traditionellen Bereichs liegen. Nemo’s Garden hat uns dabei geholfen, neue Denkansätze zu entwickeln, wie der digitale Zwilling in einem eher esoterischen Bereich, der Landwirtschaft, eingesetzt werden kann.

Das hilft uns, über den Tellerrand zu schauen und unsere Lösungen auch für nicht traditionelle Märkte wie die Landwirtschaft anzubieten. Das gibt uns die Möglichkeit, die Bedürfnisse all unserer Kunden zu erfüllen. Wir sind großartig im Bereich Technologie. Aber Technologie ohne einen Zweck ist irgendwie bedeutungslos. Geschichten und Partner wie Nemo’s Garden sind der Grund, warum ich mich jeden Tag darauf freue, um 6:00 Uhr morgens aufzustehen, um mich auf ein Interview mit Ihnen vorzubereiten. Ich liebe meine Arbeit, weil ich an Dingen arbeiten kann, die von Bedeutung sind und spielt dabei eine wichtige Rolle. Die meisten Projekte, nicht nur Nemo, an denen ich heute arbeite, haben einen großen Einfluss auf die Nachhaltigkeit. Ich habe jetzt zwei Enkelkinder und ich habe das Gefühl, dass ich an der zukünftigen Umwelt für diese Kinder arbeite und jeder kleine Fußabdruck, den ich dazu beitragen kann, gibt mir ein wirklich gutes Gefühl.

Kommentiere