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Digitale Zwillinge – die Zukunft der Landwirtschaft?

“Die Digitalisierung in der Landwirtschaft ist wie die Digitalisierung in Deutschland generell – könnte wirklich besser laufen.”

Im Interview spricht Bernd Rauch vom Fraunhofer IESE über die Anwendung von digitalen Zwillingen in der Landwirtschaft und über den aktuellen Stand der Digitalisierung in der Landwirtschaft. Wie weit ist die Technologie wirklich und wo liegen die Grenzen? Was muss passieren, damit digitale Zwillinge in der Landwirtschaft massentauglich werden?

Bernd Rauch ist Diplom-Informatiker mit zusätzlichem Master of Business Administration (MBA) in General Management, Leadership & Communication von der Technischen Universität München. Seit 2018 ist er Softwarearchitekt am Fraunhofer Institut für Experimentelles Software Engineering (Fraunhofer IESE) und seit 2022 leitet er dort die Abteilung Architecture-Centric Engineering. Im Interview spricht er über seine Forschung zu digitalen Zwillingen.

Foto: Bernd Rauch

Der Digitale Zwilling als Chance für die Landwirtschaft

Welche konkreten Anwendungen gibt es für digitale Zwillinge in der Landwirtschaft und wie erleichtern diese die Arbeit der Landwirt*innen?
Rauch: Die Landwirtschaft ist unfassbar komplex und technologisch anspruchsvoll. Sie hat eine hohe Prozessvariabilität. Das alles zusammenzubekommen ist eine riesige Leistung. Die Landwirte arbeiten sehr oft auch nach ihrem Können und ihrer Erfahrung. Sie analysieren das Feld nicht anhand tausender Parameter, sondern sie wissen aus Erfahrung, was zu tun ist. Diese Schritte in technische Prozesse zu übertragen, ist eine Herausforderung.

Auf ihre Frage gibt es keine perfekte Antwort, in der man einfach aufzählen kann, welche Anwendungen es gibt. Ein gutes Beispiel ist die Dokumentation in der Landwirtschaft. Landwirte müssen sehr viel dokumentieren: Was sie gesät haben, was sie an Pflanzenschutz- oder Düngemitteln verwendet haben, und so weiter. Das alles müssen sie bei Behörden einreichen, um Subventionen für ihre Anbauten zu bekommen. Das sind die sogenannten Flächenprämien. Dazu muss aber unheimlich viel dokumentiert werden und das ist sehr zeitintensiv. In manchen Fällen findet das sogar noch auf Papier statt.

Die Digitalisierung in der Landwirtschaft ist wie die Digitalisierung in Deutschland generell – könnte wirklich besser laufen. Das wäre eine sehr erleichternde Anwendung für einen digitalen Zwilling in der Landwirtschaft. Dieser Zwilling hätte dann alle Daten zu den Arbeitsgängen der Landwirte gesammelt und könnte sie mit einem Knopfdruck bei der zuständigen Behörde einreichen. Damit wäre den Landwirten sehr viel geholfen.

Wie wird das Thema Digitalisierung in der Landwirtschaft und die digitalen Zwillinge von den Landwirt*innen angenommen?
Rauch: Die Idee, die wir mit dem digitalen Zwilling hatten, wurde verschieden angenommen. Auf der einen Seite wünschen sich die Landwirt*innen Erleichterungen für ihre Arbeit und möchten das gerne umsetzen. Auf der anderen Seite sind die Landwirte schon unter Kostendruck und können sich größere Investitionen nicht leisten. Die Anforderung an die Digitalisierung ist, dass die Dinge einwandfrei funktionieren. Das ist aber noch nicht immer so. Die Technologien sind teilweise noch nicht ganz ausgereift. Daher denken viele Landwirte oft, dass die digitalisierten Geräte an sich nicht funktionieren. In einigen Fällen haben die Betriebe auch noch keine Breitband-Anbindung, sodass von vornherein wenig digitalisiert werden kann. Das alles spielt immer mit rein. Darin müssen auch die Anbieter dieser Lösungen und auch wir in der Forschung besser werden, den Nutzen für die Landwirte in den Vordergrund zu stellen. Oft ist der Nutzen für die Landwirte gegenüber den Kosten zu gering.

Definition Digitaler Zwilling

Ein digitaler Zwilling ist laut dem Fraunhofer IESE ein virtuelles Abbild eines physischen Objekts, das den aktuellen Zustand des Systems zeigt und dadurch das Verhalten des Systems vorhersagen kann. Auch fungiert er als Schnittstelle zur Veränderung des aktuellen Zustandes. Die Sammlung der Daten am physischen Objekt erfolgt u.a. durch Sensorik, die Aufbereitung dieser Daten wird jeweils mit verschiedener Software verwaltet.

Fraunhofer IESE

Massentauglichkeit des Digitalen Zwillings

Wie massentauglich ist der digitale Zwilling aktuell für die Landwirtschaft?
Rauch: Da ist noch gar nichts massentauglich. Man muss dabei aufpassen: oft wird der Begriff des digitalen Zwillings als Marketing-Begriff verwendet. Es gibt nicht die einzige Definition eines digitalen Zwillings. In der Industrie gibt es zum Beispiel schon Technologien, die als digitaler Zwilling bezeichnet und auch eingesetzt werden können. In der Landwirtschaft gibt es meines Wissens noch nichts Massentaugliches, was ich als digitaler Zwilling benennen würde. Das wird wahrscheinlich noch einige Zeit dauern. Das wird die Entwicklung zeigen.

Wie hoch wäre der finanzielle Aufwand, um einen digitalen Zwilling zu nutzen? Könnten sich auch Landwirte mit weniger finanziellen Mitteln diese Technologie leisten, oder werden diese dann von der Konkurrenz mit mehr finanziellen Mitteln abgehängt?
Rauch: Das spielt eine sehr große Rolle. In Ostdeutschland ist zum Beispiel die Struktur der landwirtschaftlichen Betriebe ganz anders als im Südwesten oder Süden. Dort gibt sehr große Nachfolgebetriebe der Produktionsgenossenschaften aus DDR-Zeiten, oft mit hunderten Hektar an Land. Diese können alleine von den Betriebsergebnissen her in viel mehr teure Technologie investieren als Landwirte mit kleinen Betrieben. Das betrifft die Landtechnik, also zum Beispiel Traktoren und Erntemaschinen, genauso wie IT-Systeme und Softwarelösungen. Prinzipiell ist der Strukturwandel in der Landwirtschaft ein großes Thema. Der Trend geht von kleinen Familienbetrieben hin zu Großbetrieben, die wie industrielle Unternehmen geleitet werden.

Finanzierung

Digitale Zwillinge werden nicht unmittelbar von Landwirt*innen verwendet sondern immer über eine weitere softwarebasierten Lösungen oder Systeme, die darauf zugreifen. Die Kosten für digitale Zwillinge werden üblicherweise über die genutzte Software oder Maschine finanziert. 

Probleme des Digitalen Zwillings in der Landwirtschaft

Auf welche Probleme sind Sie bei Ihrer Arbeit mit digitalen Zwillingen in der Landwirtschaft gestoßen?
Rauch: Das erste Problem war, dass die Arbeitsprozesse in der Landwirtschaft sehr komplex sind und es wenig bis keine öffentlich verfügbare Dokumentation dazu gibt. Daher war zunächst auch unklar, wie diese Prozesse durchgängig von Anfang bis Ende in die digitale Welt übertragen werden können. Diese Prozesse zu digitalisieren, ist also eine große Herausforderung. Die Analyse und Dokumentation der Prozesse waren das Erste, was wir machen mussten, um überhaupt ein Gefühl für landwirtschaftliche Arbeit zu bekommen.

Weitere Probleme sind, dass die verschiedenen Anbieter versuchen, sich in dem digitalen Gesamt-Ökosystem Landwirtschaft ihren Platz zu sichern. Das ist wie in der normalen Plattform-Ökonomie. Es gibt beispielsweise auch nur ein Facebook und ein Twitter und so weiter. Der Anbieter, zu dem die meisten Leute hingehen, gewinnt. Das ist in der Landwirtschaft sehr ähnlich. Die Anbieter versuchen eher, die Kunden zu sich ins Ökosystem zu bringen, anstatt das eigene Ökosystem für andere Anbieter zu öffnen. Das macht es schwer, einen digitalen Zwilling zu entwickeln, der für alle Ökosysteme offen ist und auch von diesem genutzt wird.

Das dritte Problem ist das Geld für Investitionen in digitale Lösungen. Es wird zwar unheimlich viel subventioniert, die Ernährung ist ja auch sehr wichtig, aber davon bleibt ganz wenig in der digitalen Landwirtschaft hängen. Die Landwirtschaft kann sich die Digitalisierung nur schwer leisten. Das müsste auch mehr subventioniert werden.

Die Zukunft ist digital

Wie sehen Sie die Entwicklung der Digitalisierung der Landwirtschaft? Glauben Sie, dass der digitale Zwilling in Zukunft das Handwerk der Landwirte verdrängen kann?
Rauch: Die Chance besteht, aber in welche Richtung sich alles entwickelt, ist schwer zu sagen – der digitale Zwilling ist auch eher die Basis für digitale Anwendungen und zielt nicht darauf ab, die Entscheidungen von Landwirt*innen zu übernehmen, er soll sie eher unterstützen. Das kommt auch auf den Markt an, auf dem sie agieren. In Deutschland gibt es viele Landwirte, die ihr Handwerk und auch die Kontrolle über ihre Arbeit nicht abgeben möchten. Sie sind zwar offen gegenüber der Technologie, aber auch skeptisch, weil vieles noch nicht optimal funktioniert. Es ist aktuell auch sehr unklar, wie solche Dinge finanziert werden sollen oder auch ob sie wirklich zuverlässig funktionieren und so weiter. Dadurch kann ich keine richtige Tendenz angeben, wie sich die Landwirtschaft entwickeln wird.

Ich würde vermuten, dass in den kommenden Jahren der Trend stark zum ökologischen Landbau geht, wo die mechanischen Handgriffe gebraucht werden. Dann werden autonome Systeme wie Feldroboter mehr gefragt sein, die das zurückgehende Angebot an Saisonarbeitskräften ausfüllen. Solche Systeme können und werden digitale Zwillinge zur Erfüllung ihrer Arbeitsaufträge nutzen, womit sich auch für die Zwillinge die Chance ergibt, sich am Markt durchzusetzen.

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