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Die Jagd im Reichswald – nutzlos oder doch sinnvoll?

Die Jagd von Wildtieren ist seit Jahren stark umstritten. Tierschützer verurteilen die Jäger unnötiges Leid zu verursachen. Jäger hingegen sehen die Jagd als ein wichtiges Instrument zur Regulation der Wildbestände und Erhalt der Wälder. Die Jagd am Beispiel vom Nürnberger Reichswald.

Im Nürnberger Reichswald gibt es vor allem Rehwild und Schwarzwild. Sie alle haben aktuell keine Fressfeinde im Reichswald – doch da ist noch der Mensch, der sie jagd. Laut Forstbetriebsleiter Johannes Wurm ist das auch aufgrund von einigen ökologischen Aspekten wichtig.

Der Nürnberger Reichswald ist nicht nur Lebensraum für zahlreiche Arten. Er dient auch als Erholungsgebiet für die Nürnberger*innen. Video: Katharina Stöger

Der Reichswald

Allein in Deutschland werden jährlich bei der Jagd mehr als fünf Millionen Wildtiere getötet. Im Nürnberger Reichswald werden vor allem Wildschweine und Rehe bejagt. Im Durchschnitt sterben dadurch auf 20.000 Hektar jährlich circa 1300 Rehe, erklärt Johannes Wurm. 2021 wurden auf gleicher Fläche 828 Wildschweine erlegt. Laut Wurm war das aber ein vergleichsweise hoher Wert. Im Jahr 2022 wurden von April bis November 226 Tiere getötet.

Im Reichswald gibt es 15 Förster und ungefähr 200 Jagdgäste, die sogenannte Pirschbezirke haben. 14 Staatsjagdreviere sind verpachtet. Das bedeutet, das Jagdrecht geht an den Pächter über. Das ergibt über 200 Personen die letztendlich im 36.000 Hektar großen Reichswald jagen.

Unnötiges Tierleid oder wichtige Maßnahme?

Laut Forstbetriebsleiter Johannes Wurm ist der Grund, warum im Reichswald gejagt wird ein ökologischer. Es gäbe keine Lustjagd und keine Trophäenjagd, betont er.

Wie viele Tiere erlegt werden, wird durch das Forstliche Gutachten festgelegt. Das ist eine Maßnahme, um regelmäßig zu überprüfen, wie sich Wildverbiss auf die Verjüngungsziele im Wald auswirkt. Somit soll sichergestellt werden, dass die jungen Bäume im Wald ungestört wachsen können, ohne dass Tiere die Samen wieder ausgraben und die Bäume “abknabbern”. Der Reichswald soll wegen dem Klimawandel umgebaut werden. Neue Baumsorten werden daher für einen zukunftsstabilen Wald gepflanzt. “Das Rehwild ist ein ziemlicher Feinschmecker. Fichten und Kiefern kennt es schon”, sagt Wurm. Neue Arten sind daher interessanter und werden oft von Rehen abgebissen.

Junger Baum im Nürnberger Reichswald. Foto: Elisabeth Seiler

Und warum keine Schutzzäune? Das wird bereits teilweise um einige Jungbäume eingesetzt, so Wurm. Waldgebiete bzw. die Wildschweine einzuzäunen findet Wurm aber nicht natürlich. Zudem sei es eine große Schwierigkeit Zäune wilddicht zu installieren.

Gegenwind von Biologen

Tierschützer und auch einige Biologen sehen die Jagd aber als unnötig, so auch Dr. Josef H. Reichholf. Er lehrte Naturschutz und Ökologie an der TU München und war viele Jahre im nationalen und internationalen Naturschutz tätig. Als Buchautor hat er mit provokanten Thesen oft Aufsehen erregt. In der Öffentlichkeit wird er als streitbarer Querdenker und Provokateur gesehen.

In einem Paper von 2013 beschreibt er, warum seiner Auffassung nach die Jagd unnötig ist. “Unter dem seit Jahrhunderten anhaltend hohen Jagddruck hat die Scheu der bejagten Wildtiere bei uns so extrem zugenommen, dass wir von ihrer tatsächlichen Häufigkeit kaum noch etwas mitbekommen”, schreibt er. Durch die Jagd entwickeln die Tiere eine unnatürlich große Scheu und höhere Fluchtdistanzen, wodurch sich wiederum Wildunfälle mit Autos mehren. Der Grund: Normalerweise tagaktive Tiere verlagern ihre Aktivitäten in die Abend- bzw. Nachtstunden. Die Scheu führt auch zu unnötigen Fluchten vor harmlosen Spaziergänger*innen. Dadurch erhöht sich laut Reichholf der Energiebedarf. Das treibt die Verbissschäden an Bäumen nach oben, da die Tiere mehr Nahrung benötigen.

Wildschweine im Wald. Foto: Pixabay

Präventionsmaßnahme gegen die Schweinepest

Laut Forstbetriebsleiter Wurm ist die Jagd aber auch eine Präventionsmaßnahmen gegen die afrikanische Schweinepest. Daher sind laut ihm die Jäger angehalten, das Schwarzwild stark zu bejagen. Falls die Pest kommt wäre so die Übertragungswahrscheinlichkeit geringer. Stand November 2022 wurde in Bayern noch kein Fall der Krankheit gemeldet, jedoch bereits in Sachsen, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Durch das Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz wurden daher in Nord- und Ostbayern Wildzäune entlang der Bundesautobahnen im Gebiet der Grenze zu Thüringen, Sachsen und der Tschechien gebaut. Laut dem Ministerium besteht eine große Gefahr, dass die Schweinepest auch nach Bayern eingeschleppt wird.

Der Nürnberger Reichswald. Foto: Elisabeth Seiler

Schäden in der Landwirtschaft

Ein weiteres Ziel der Jagd ist die Schäden für Landwirtschaft in Grenzen zuhalten. Wildscheine treten oft aus den Wäldern aus und zerwühlen die Felder der Bauern. Wildschweine besuchen Anwohner aber auch gerne in deren Vorgärten. So gab es auch im Herbst 2022 einen Fall im Nürnberger Stadtteil Zerzabelshof. Wildschweine waren in Vorgärten und hätten Beete zerstört. Das Ärgernis der Bewohner war groß. So wollten sie auch, dass die Förster etwas gegen die Tiere unternehmen. Laut Wurm versuchen die Jäger daher, den Jagddruck an Stadtgrenzen hoch zu halten. Auch in Fischbach passiere es öfters, dass sich Wildschweine in die Nähe von Menschen kommen. Viele Menschen haben Angst vor Wildscheinen. Laut Wurm ist die in der Regel jedoch unbegründet, denn nur Muttersäue sind aggressiv, wenn sie ihre jungen Frischlinge schützen wollen. Im Normalfall hat das Wild eher Angst vor dem Menschen, so Wurm.

Eine Lösung für das Problem wäre einen Schwarzwild-dichten Zaun zu installieren. Laut dem Forstbetriebsleiter sei das jedoch gar nicht so einfach, da er sehr stark und hoch sein müsste. 

Ein Jägerstand im Reichswald. Foto: Katharina Stöger

Die Wildpopulation wird reguliert?

Einige Jäger begründen die Jagd mit der Regulierung der Wildpopulation. Diesen Grund hat Johannes Wurm, im Bezug auf den Reichswald nicht genannt. 

Tierschutzorganisationen, wie Peta sind der Meinung, dass sich die Populationen aufgrund von Nahrungsangebot, Krankheiten, Klima und sozialen Strukturen selbst reguliert. Die Jagd zerstöre stabile Familienverbände und Gemeinschaften. Laut einer Studie aus Italien würden sich Wildschweine durch die Jagd sogar noch stärker vermehren, denn wenn hoher Jagddruck herrscht, sei die Fruchtbarkeit bei Wildschweinen wesentlich höher als in Gebieten, in denen kaum gejagt wird. Die Tierschutzorganisation Peta beruft sich bei diesen Aussagen vor allem auf Dr. Josef H. Reichholf und den Biologen Dr. Karl-Heinz-Loske. Laut Loske kann sich eine Population nicht zu stark vermehren, sonst würde sie verhungern. Das Phänomen wird auch Umweltkapazität genannt. Jedoch gibt es wenig aktuelle Studien, die beweisen, dass sich die Wildpopulationen von alleine regulieren.

“Wenn wir uns als Mensch komplett aus dem System zurückziehen, dann können wir das laufen lassen und die Natur regelt das”, sagt Wurm. Nur so wäre die Jagd überflüssig. Unsere Natur ist jedoch stark vom Menschen beeinflusst, so der Forstbetriebsleiter.

Was ist Gesetz?

“Töten ist nie schön”, gibt der Forstbetriebsleiter zu. “Es muss auch gut begründet sein.” Natürlich muss es tierschutzgerecht ablaufen, so Wurm. Wie gejagt werden darf, bestimmt das Bayerische Jagdgesetz. Laut dem Gesetz gilt es beispielsweise als Straftat, wenn man Elterntiere erlegt, die für die Aufzucht von Jungtieren sorgen. Auf dem Papier sind Elterntiere geschützt. Aber wie sieht es in der Realität aus? “Ich will nicht sagen, dass da nie Fehler passieren”, räumt Wurm ein. Als Jagdleiter hat er ein Augenmerk auf die Jäger des Reichswaldes. Jedoch kann er aber natürlich nicht jeden Jäger kontrollieren. Wurm gibt zu, dass es teilweise schwierig ist nachzuvollziehen. Außerdem sei es bei Wildschweinen im Einzelfall auch oft schwer zu erkennen, da manche Tiere sehr früh Junge bekämen und nicht wie Muttertiere wirkten.

Der Nürnberger Reichswald ist reich an Artenvielfalt. Foto: Elisabeth Seiler

Wildfleisch aus dem Reichswald vs. Massentierhaltung

Als positiv sieht Wurm, dass man durch die Jagd hochwertiges Wildfleisch bekommt. “Natürlich ist es ein tolles Lebensmittel, das sehr nachhaltig produziert werden kann.” Im Vergleich zu Massentierhaltung haben Wildtiere ein artgerechtes Leben in Freiheit. Zudem wird keine extra Fläche für den Stall und den Anbau von Futter benötigt. Trotzdem ist der CO2 Fußabdruck von Fleisch hoch. Im Fall des Fleischs aus dem Reichswald gibt es einen geringen Transportweg, da das Wildfleisch direkt vor Ort in Nürnberg verkauft wird. Für Fleischesser ist es somit immerhin die bessere Alternative zu konventionellem Fleisch.

Tiere im Reichswald der Zukunft

Bereits in anderen Regionen kommen Wölfe wieder in die Wälder zurück. Beispielsweise im Veltensteiner Forst gibt es sie wieder. Johannes Wurm ist gespannt, wie sich die Situation entwickeln wird. Er meint, die Wölfe könnten vielleicht bejagt werden, da es mit Nutztieren Konflikte gab, wie man aus anderen Regionen gesehen hat. Laut dem Forstbetriebsleiter werden Wölfe und Luchse auch früher oder später in den Reichswald zurückkehren.

Wie man sieht ist die Jagd ein kritisches Thema. Es sind nur wenige aktuelle wissenschaftliche Studien vorhanden und es gibt nur wenige Biologen, die sich strikt gegen die Jagd aussprechen. Trotzdem ist die Jagd ethisch gesehen fragwürdig, denn ob sinnvoll oder nicht: es sterben Lebewesen. Renommierte Wissenssendungen, wie Quarks, sehen die Jagd aber beispielsweise als sehr wichtig. Laut Forstbetriebsleiter Johannes Wurm, könne die Jagd nur vermieden werden, wenn sich die Menschen komplett zurückziehen würden. Aus Erfahrung weiß er aber, dass menschliche Interessen dem oft gegenüber stehen.

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