Die Ansammlung imenser Datenmengen birgt nicht nur Vorteile. (Foto: pexels.com)
11. Mai 2017
Die Filterblase
„Die Zukunft des World Wide Web ist die Personalisierung“, prophezeite der Yahoo-Vizechef Josh Catone 2007 in einem Interview. Sämtliche menschliche Kommunikation seit Anbeginn der Zeitrechnung bis zum Jahr 2003 entspräche einer Datenmenge von etwa fünf Milliarden Gigabyte. Das sind so viele Informationen wie in einer Billionen Harry Potter Bücher steckt. Diese Menge fällt heute bereits alle zwei Tage an – Tendenz steigend. Kein Mensch kann diese Flut an Daten selbst nach für ihn relevanten Inhalten durchforsten. Die Arbeit nehmen dem Nutzer heute intelligente Algorithmen ab, die Licht ins Dunkle bringen sollen.
Sämtliche menschliche Kommunikation seit Anbeginn der Zeitrechnung bis zum Jahr 2003 entspräche einer Datenmenge von etwa fünf Milliarden Gigabyte. Das sind so viele Informationen wie in einer Billionen Harry Potter Bücher steckt. Diese Menge fällt heute bereits alle zwei Tage an – Tendenz steigend. Kein Mensch kann diese Flut an Daten selbst nach für ihn relevanten Inhalten durchforsten. Die Arbeit nehmen dem Nutzer heute intelligente Algorithmen ab, die Licht ins Dunkle bringen sollen.
Jeder kann es einfach Zuhause nachprüfen: Tippt der Nutzer bei Google an zwei verschiedenen Geräten die selben Begriffe ein, spuckt die Suchmaschine unterschiedliche Ergebnisse aus. Dahinter steckt die 2009 eingeführte personalisierte Suche des kalifornischen Internetgiganten. Ein lernfähiger Algorithmus passt dafür die Relevanz der Ergebnisse nach den vorliegenden Daten über den jeweiligen Nutzer an. Um dies zu ermöglichen, sammelt der Konzern Informationen: Wo sich das Gerät einloggt, vorherige Suchanfragen, welche Links der Benutzer anklickt und wie lange er dafür braucht. Insgesamt werden über 50 verschiedene Kriterien berücksichtigt. Je mehr Daten vorliegen, desto genauer wird die Personalisierung. Mittlerweile wird das Verhalten von Internetnutzern auf fast jeder Webseite über „Tracker“ und „Cookies“ analysiert und in sogenannten Metadaten gespeichert. Ganze Firmen haben sich heute darauf spezialisiert.
Acxion und BlueKai gehören zu den größten Firmen auf diesem Markt, und sie verdienen viel Geld damit. Bereits 44 Millionen Deutsche und 500 Millionen Menschen weltweit sind in den riesigen Datenbanken mit Informationen wie Wohnsitz, Hautfarbe, Ausbildung, Einkommen und vielem mehr hinterlegt. Davon profitieren etwa Online-Kaufhäuser, die dadurch Werbung für Produkte zielgerichteter an ihre Kunden bringen können. Der Informatikprofessor Jens Albrecht sieht darin einen großen Vorteil, um Papiermüll zu reduzieren: „Bei Werbung ist es eben auch sehr schlecht, wenn man stapelweise Papier in den Briefkasten bekommt, das nur im Müll landet. Dafür werden viele Bäume gefällt und eine Menge Tinte verdruckt. Wenn ich personalisierte Werbung elektronisch bekomme, ist das für mich erst einmal ein Fortschritt.“
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Den Nutzern von Streamingdiensten wie Netflix oder Amazon Prime wird durch personalisierte Inhalte die Auswahl von Filmen aus dem großen Angebot von teilweise über 100.000 Titeln erleichtert. Wer gerne Actionfilme ansieht, der bekommt individuelle Vorschläge zu ähnlichen Streifen. Das erspart langes suchen und hilft dem User, durch vorherige Selektion des Algorithmus, für sich relevante Inhalte zu finden, was einen hohen Komfortgewinn für den Kunden darstellt.
Problematisch wird die Personalisierung jedoch bei Seiten wie Google, Yahoo oder Facebook. Durch die angepassten Inhalte nimmt der Nutzer nur noch seine eigene Sicht auf die Welt wahr und fühlt sich immer mehr in seiner Meinung bestärkt. Dadurch gerät er in seine eigene „Filterblase“. Bei Facebook werden keine Beiträge mehr von Freunden mit anderen Ansichten angezeigt. Wer bei Google oft nach Verschwörungstheorien zu 9/11 sucht, bekommt auf der ersten Seite der Ergebnisliste nur noch Beiträge von Befürwortern dieser Theorie angezeigt.
Der Algorithmus bewertet die Relevanz für kritische Artikel niedrig und platziert diese auf Seite drei oder vier, die der Nutzer selten bis nie durchblättert. Er fühlt sich dadurch in seiner Sicht bestätigt, da für ihn das Internet voll von Belegen für diese Theorie ist. Dass es mindestens genauso viele gegenteilige Ansichten gibt, nimmt er gar nicht mehr wahr. „Wir alle haben ein Bedürfnis nach Bestätigung. Wenn ich immer wieder die gleichen Informationen bekomme, die meinen Erwartungen und Wünschen entsprechen, dann werden genau diese Bedürfnisse bedient. Die Person hat das Gefühl dazuzugehören und Recht zu haben“, erklärt der Diplompsychologe Gerhard Fischl. „Dies führt auf langer Sicht zum Verlust der Kritikfähigkeit und der Kompetenz sich mit anderen Meinungen rational auseinanderzusetzen.“ Außerdem werde der Nutzer dadurch leichter manipulierbar, das bedeute eine höhere Anfälligkeit für Fake-News, erläutert der Experte.
Die Filterblase, eine Gefahr für die Demokratie
Politisch komplexe Themen, die eher unangenehm sind und dadurch weniger angeklickt werden, treten durch die Personalisierung in den Hintergrund. Aber auch für interessierte Menschen entstehen Nachteile: „Wenn ich rechts eingestellt bin bekomme ich nur entsprechende Seiten angezeigt und wenn ich linke Ansichten habe erhalte ich nur solche Ergebnisse.
Geht es um politische Inhalte, so ist das eben nochmal eine andere Sache, als bei der Suche nach Produkten in einem Online-Shop“, meint Albrecht. Für die Gesellschaft bedeute dies eine zunehmende Entwicklung von Parallelgesellschaften, was eine Gefahr für die Demokratie darstelle, warnt Fischl. „Unsere zunehmend komplexer werdende Welt führt zu einem Bedürfnis nach einfachen Antworten, welche der Nutzer in seiner Filterblase bekommt. Das ist ein Teufelskreislauf“, sagt der Psychologe.
Persönliche Filter sind dabei keine Erfindung des Internets. Jeder Mensch sucht sich auch eine Tageszeitung aus, die seine eigene Meinung am besten widerspiegelt. Im Netz sieht der Informatikprofessor allerdings das größte Problem bei der fehlenden Transparenz. Keiner kann nachvollziehen, welche Daten über ihn vorliegen und wo sie verwendet werden. Laut Albrecht müsste es eine Möglichkeit geben, Einspruch gegen die Nutzung von personenbezogenen Daten auf Webseiten zu erheben. „Ich würde mir auch eine Funktion im Browser wünschen, mit der ich das ein- und ausschalten kann. Oder beim Suchen einen zusätzlichen Button, durch den auch andere Ergebnisse angezeigt werden. Es geht auch schon ein bisschen in diese Richtung“, sagt der Informatikprofessor.
Keine zufriedenstellenden Lösungen
Um sich aus seiner Filterblase kurzfristig zu befreien, gibt es verschiedene Optionen. Bei Google lässt sich beispielsweise die Aktivitätsverfolgung ausschalten und der eigene Suchverlauf löschen. Außerdem gibt es für Webbrowser spezielle Erweiterungen, mit denen Tracker blockiert werden können, die das Surfverhalten verfolgen. Hilfreich ist es auch seine IP-Adresse über sogenannte Proxy-Server zu verschleiern. Diese Möglichkeiten helfen aber nicht auf Dauer: „Wenn Sie bei Google drei Suchen durchgeführt haben, kann das mit Ihrer IP-Adresse verknüpft werden. Und wenn der Nutzer diese nicht wieder über VPN wechselt, dann ist er darüber identifizierbar“, erklärt Albrecht. „Es sind erst mal die Anbieter gefragt, für die es schlecht ist, wenn Angebote nicht angezeigt werden, die der User vielleicht gerne hätte. Das ist eine Schwäche, bei der die Dienstleister auch ein kommerzielles Interesse haben weitere Optionen zu bringen. Zum Anderen muss der Gesetzgeber Regelungen auf den Weg bringen, die mehr Transparenz schaffen und das Ganze steuerbar machen.“
Autor: Tobias Rühl