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Bewegung im Alltag: Motivation, Anreize und gesellschaftliche Veränderungen

Prof. Dr. Christopher Grieben ist gelernter Sportwissenschaftler mit Schwerpunkt auf Prävention und Rehabilitation. Er leitet die Abteilung Innovation und Wissenschaft in der Kölner Denkfabrik fischimwasser. Zusätzlich ist er Professor für E-Sports, Sport und Gesundheitsmanagement an der Hochschule für angewandtes Management. Er findet, Arbeitgeber, Kommunen und Vereine spielen eine zentrale Rolle bei der Aktivierung der Gesellschaft, beobachtet aber den Trend, dass Wirtschaft und Industrie sich der Inaktivität der Menschen anpassen.

Ein Gastbeitrag von Ralph Ebnet

Wie motiviere ich mich zu mehr Bewegung im Alltag?

Da gibt es leider kein Patentrezept. Wichtig ist auf jeden Fall, die Gesundheitskompetenz der Menschen zu fördern. Wer versteht, wie wichtig Gesundheit, Bewegung und Ernährung sind, der ist auch eher motiviert, etwas dafür zu tun. Dazu muss Wissen zu Themen wie Bewegung, der Vermeidung von Übergewicht, dem Verhindern chronischer Krankheiten und gesteigerter Leistungsfähigkeit vermittelt werden. Die Menschen müssen verstehen, dass mit einem gesunden Lebensstil auch mehr Lebensqualität einhergeht.

Außerdem tut es der Motivation gut, wenn Ziele gesetzt werden. Und zwar erreichbare und überprüfbare Ziele, die nicht zu weit in der Ferne liegen. Diese Ziele lassen sich dann gut transparent machen und mit Freunden teilen, was die Verbindlichkeit steigert. Wenn die Freunde über das Ziel, einen 10 km Lauf zu laufen, informiert sind, dann fragen sie sicherlich auch ab und an nach dem Trainingsstand. Zusätzlich kann es helfen, die Sporteinheiten in den Kalender aufzunehmen und sich die Termine freizuhalten, ähnlich wie Geschäftstermine.

Wer kann Anreize setzen, um die Menschen zu mehr Bewegung zu motivieren?

Arbeitgeber können viel erreichen. Betriebliches Gesundheitsmanagement wird auch immer wichtiger, denn Unternehmen wollen leistungsfähige und gesunde Mitarbeiter. Dank des späten Renteneintrittsalters soll diese Gesundheit auch lange erhalten bleiben. Um das zu gewährleisten, gibt es Möglichkeiten wie Gesundheitstage, an denen aufgeklärt und sensibilisiert wird, wie wichtig Bewegung und bspw. Stressmanagement ist. Oder Strategien wie Bewegungspausen, die zum Beispiel durch strategisch platzierte Mülleimer gewährleistet werden können. Auch über das Kantinenessen kann eine gesündere Lebensweise angeregt werden. Niederschwellige Wettbewerbe wie eine Schrittechallenge sind ebenfalls gute Mittel, die Mitarbeiter zu motivieren. Dabei wird als Team aufgezeichnet, wie viele Schritte absolviert wurden und der Vergleich zu anderen Teams gezogen. Das funktioniert meist recht gut, weil der Zeitraum überschaubar und ein sozialer Aspekt dabei ist. Ganz wichtig ist bei allen Maßnahmen, dass diese nicht von oben herab verordnet werden. Führungskräfte müssen eine Vorbildfunktion einnehmen und in dieser authentisch sein. Wenn der Betrieb dann noch die Mitarbeiter mit einbezieht und Maßnahmen an den jeweiligen Bedarf anpasst, stehen die Chancen gut, dass die Veränderung nachhaltig wirkt. Das Wichtigste ist jedoch, dass das Thema betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) in eine gesamtunternehmerische Strategie im Rahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) integriert ist.

Welchen Einfluss hat die Stadtplanung auf die Bewegung im Alltag?

Ich bin der Überzeugung, dass der Einfluss der Stadtplanung häufig deutlich unterschätzt wird. In anderen Ländern gibt es wesentlich besser ausgebaute Radwege, auch mit dem Einsatz von Technik. Ein Beispiel sind die Niederlande, dort gibt es Radwege, die Ampeln für Radfahrer auf Grün stellen, wenn es regnet. Ein anderes Beispiel sind Länder, die ein Minimum an Radwegen gesetzlich garantieren. Solche Maßnahmen fördern die Bewegung der Bürger immens. Wir beobachten in der westlichen Welt allerdings den Trend, dass Wirtschaft und Industrie sich eher an die Inaktivität der Menschen anpassen, anstatt dem entgegenzuwirken. Ein Beispiel ist das zunehmende Angebot von Lieferdiensten der großen Supermarktketten. Oder das Anpassen der Kinositze an das Übergewicht der Menschen. Ich glaube, dass die Politik und die Kommunen eine tragende Rolle einnehmen könnten, um das zu verbessern. Statt Fußballplätze nachmittags abzusperren, sollte bewusst Raum für Sport und Bewegung geschaffen werden. Eine positive Idee, die wir derzeit sehen, sind Gesundheitskioske.

“Was ist ein Gesundheitskiosk?”

Gesundheitskioske sind eine Initiative des Bundesministerium für Gesundheit mit dem Ziel, die Gesundheitskompetenz in der Gesellschaft zu fördern. Während zwar alle gesetzlich Versicherten den gleichen Anspruch auf medizinische Versorgung haben, zeigt sich in der Realität, dass gerade Menschen mit geringerem Einkommen oder niedrigem Bildungsstand häufig schlechteren Zugang zu gesundheitlichen Leistungen haben. Insbesondere diesen Menschen sollen Gesundheitskioske helfen, eine niedrigschwellige Beratung in Gesundheitsfragen zu erhalten. Insgesamt sind deutschlandweit 1.000 solcher Kioske geplant.

Diese sollen Prävention und Gesundheitsförderung auf die Straße bringen, also dahin, wo sie gebraucht werden und wo Menschen sind. Gesprächsförderung und Gesundheitskompetenz sind elementar. Wir müssen nicht nur die Menschen in Bewegung bringen, sondern wir müssen die Bewegung zu den Menschen bringen.

Wie hat sich das Aktivitätsverhalten der Gesellschaft in den letzten Jahren verändert?

Der Begriff Inaktivitätsverhalten würde besser passen. Die Inaktivität hat stark zugenommen, so erreichen nur noch 26 % der Kinder und Jugendlichen die aktuellen WHO-Empfehlungen von 60 Minuten Bewegung pro Tag. Auch die Anzahl der Übergewichtigen ist in den letzten zehn Jahren immens gestiegen. Wenn das so bleibt, kommt das Gesundheitssystem irgendwann nicht mehr hinterher, denn die Ausgaben steigen immer weiter. Das ist allerdings kein deutsches Problem, sondern sieht in ganz Europa so aus. Derzeit gibt es ca. 15 Millionen übergewichtige Kinder allein in Europa. Es handelt sich um eine der größten Herausforderungen dieses Jahrhunderts. Diese Inaktivität zeigt sich auch darin, dass Vereine immer weniger jugendliche Neumitglieder verzeichnen können. Das hat natürlich noch mehr Gründe, insgesamt neigen Menschen, die vor der Pubertät in einem Verein waren, eher dazu, auch später wieder im Verein zu landen. Man müsste also schon vor der Pubertät ansetzen.

Woran liegt das?

Die Ursachen sind vielfältig. Ich glaube, dass Bewegung und Sport an Bedeutung verlieren. Das fängt schon innerhalb der Familie an, nur ein Viertel der befragten Männer erreicht die Empfehlungen der WHO. Da wird auch keine Sportbegeisterung an Kinder weitergegeben. Dazu kommt, dass die Gesundheitskompetenz vieler Bürger einfach zu niedrig ist. Wer nicht versteht, wie wichtig Sport, Bewegung und Ernährung für die Gesundheit sind, der ist auch weniger motiviert, in diesen Bereichen aktiv zu sein. Leider haben wir während der Pandemie auch gesehen, wie wenig Bedeutung Schulsport hat. Das war das Erste, was gekürzt wurde. Andere Länder, wie etwa Italien und Frankreich, haben direkt nach der Pandemie aus Ausgleich mehr Sport eingeführt. Insgesamt würde den Kindern und der Gesellschaft ein Schulfach, in dem es um die Vermittlung von Inhalten zum Thema Gesundheit ginge, sehr guttun.

Welchen Einfluss hat Sport in der Kindheit auf die Einstellung zum Sport als Erwachsener?

Sport und Gesundheitskompetenzen in der Jugend legen den Grundstein für Sport im Erwachsenenalter. Wer als Kind lernt, wie wichtig ein gesunder Lebensstil ist, der nimmt dieses Wissen sein Leben lang mit sich. Das prägt auch die Einstellung zum eigenen Körper. Regelmäßiger Sport verbessert körperliche und motorische Fähigkeiten der Kinder. Wer sich viel bewegt und Spaß daran hat, findet auch als Erwachsener leichter Gefallen daran.

Wie finde ich die richtige Sportart?

Die Frage stellen sich viele Menschen, darum haben wir den Activ-o-mat entwickelt. Das ist ein Online-Tool, das anhand einiger Fragen verschiedene Sportarten ausgibt, die zum Nutzer passen könnten. Auch die Integration von Vereinen in die Schule kann helfen, so dass bereits im Kindesalter viele Sportarten ausprobiert werden können, um schließlich die passende zu finden.

Was können Vereine tun, um mehr Mitglieder zu gewinnen?

Dazu müssen Vereine die Jugend als Zielgruppe genauer betrachten und verstehen, wie ihr Freizeitverhalten aussieht. Gaming und E-Sports sind mittlerweile Kultur und überall in der Bevölkerung zu finden. Wichtig zu verstehen ist, warum spielen Jugendliche so viel? Daraus lassen sich dann Handlungsempfehlungen für Vereine ableiten. Gaming muss in die Sportvereine integriert werden, dafür muss der E-Sport aber zunächst gemeinnützig werden. Wenn das gegeben ist, dann können und müssen Vereine diesen in ihren Alltag integrieren. So könnten Mitglieder eines Fußballvereins erst an der Konsole gegeneinander spielen und die zweite Halbzeit dann auf den Platz ins Reale verlegen. Das lässt sich perfekt mit Aufklärung und einem gesunden Umgang mit Videospielen verknüpfen.

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