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Meerespflanzen: Biogene Ressourcen aus dem Meer

Die nachhaltige Produktion und Nutzung von biogenen Ressourcen ist unausweichlich. 71 Prozent der Erdoberfläche sind mit Wasser bedeckt. Die Meere bieten dabei wertvolle Ressourcen. Meerespflanzen könnten in Zukunft eine nachhaltige Rohstoffquelle bieten, da sie mehr können, als nur fossile Rohstoffe zu ersetzen.

Ein Gastbeitrag von Lucas Ott

Der grundlegende Gedanke der Bioökonomie ist, endliche Ressourcen zunehmend durch nachwachsende Rohstoffe zu ersetzen. Das klingt nach einer naheliegenden Lösung, um sich langfristig von fossilen Brennstoffen und anderen Mineralien zu lösen. Neben dem Problem, dass bislang zu wenig nachwachsende Alternativen für Rohstoffe existieren, mangelt es uns aber besonders an den Flächen. Wir nutzen fast zehn Prozent der Erdoberfläche für landwirtschaftliche Zwecke, was circa ein Drittel der verfügbaren Landfläche ausmacht. Immer mehr Menschen benötigen zukünftig eine Grundlage zum Leben. Hinzu kommt der Kampf mit dem Klimawandel. Kann die Bioökonomie dabei helfen, die Probleme zu lösen?

Die einfachste Lösung wäre, wenn wir zusätzliche Landflächen erschließen könnten, um die Agrikultur weiter auszubauen – idealerweise ohne dafür Regenwälder niederbrennen zu müssen. Durch den Klimawandel passiert im Moment aber weltweit genau das Gegenteil. Der Meeresspiegel steigt, wodurch immer mehr Küstenregionen für den Anbau von Nutzpflanzen verloren gehen. Ist das Meer als Agrarfläche aber wirklich unbrauchbar? Im Meer finden sich unzählige Arten von Meerespflanzen, deren Potenzial bislang nur wenig ausgeschöpft, beziehungsweise erforscht ist.

Meerespflanzen als CO2-Speicher

Seegras ist beispielsweise an vielen Küsten der Erde vorzufinden. Urlauber nehmen die Meerespflanzen häufig nur als stinkenden Abfall wahr, der den Strand verschmutzt. Angela Stevenson, Meeresforscherin bei GEOMAR am Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel, sieht in dem Meeresgewächs sehr viel mehr als nur die angespülten Pflanzenreste. Fast täglich legt die gebürtige Kanadierin ihre Tauchausrüstung an und taucht hinab zum Meeresboden. Dort beobachtet sie Organismen und sammelt Proben, um die Wechselwirkung zwischen den einzelnen Lebewesen besser verstehen zu können. Die Erkenntnisse ihrer Forschung können unter anderem dabei helfen, die weltweite Treibhausgas-Emission zu mindern.

Angela Stevenson ist  Meeresforscherin
Angela Stevenson muss fast täglich abtauchen, um zu Ihrem Arbeitsplatz zu kommen. Foto: Angela Stevenson

„Seegras ist in der Lage, fünf- bis zehnmal so viel CO2 zu speichern wie dieselbe Fläche Regenwald“, sagt die Meeresforscherin. Allein an der deutschen Küste gäbe es eine Fläche von 3000 Quadratkilometern, die für den Anbau von Seegras in Frage käme. Damit könnte Deutschland knapp fünf Prozent des jährlichen CO2-Ausstoßes aufgefangen. Größte Hürde bei einem solchen Vorhaben ist aktuell noch das Anpflanzen. „Jeder Setzling muss mit der Hand eingesetzt werden, weshalb es erforderlich ist, diesen Prozess so gut es geht zu optimieren“, erklärt Stevenson.

Das Team bei GEOMAR benötigt auch in Zukunft helfende Hände, damit sie das Projekt auch wirklich umsetzen können. Geplant ist deswegen auch eine Form von Unterwasser-Gemeinschaftsgarten, in dem Hobbytaucher die Möglichkeit haben, den Wissenschaftlern unter die Arme zu greifen.

Meerespflanzen fordern Kreativität und Forschung

Ob es für die geplanten Seegraswiesen in Deutschland auch konventionelle Verwendungszwecke geben wird, ist noch unklar. Feststeht aber, dass durch etwas Kreativität und Forschung auch Anwendungsmöglichkeiten für scheinbar ‘nutzlose’ Meerespflanzen entstehen können. Ein gutes Beispiel dafür ist die Firma NeptuGmbH in Karlsruhe. Der eigens entwickelte Dämmstoff NeptuTherm besteht zu 100 Prozent aus Fasern der Seegrasart „Posidonia oceanica“. Die benötigten Fasern finden sich überall rund um das Mittelmeer und liegen an den Stränden als braune Bälle, die sogenannten Neptunbälle. Im Herbst reißen -ähnlich wie bei Laubbäumen- viele Seegrasblätter ab. Dabei werden oftmals Strünke mit herausgezogen, an denen die Fasern hängen. Durch die Strömung lösen sich diese mit der Zeit und rollen sich am Meeresboden zu den Bällen zusammen, die dann am Strand vorzufinden sind.

Neptunbaelle sind so groß wie Tennisbälle
Neptunbälle können in Tennisballgröße an den gespült werden. Foto: NeptuGmbH

„Ich war damals mit meinem Mann im Spanienurlaub und überall entlang des Strandes lagen diese braunen Bälle. Als ich einen in die Hand nahm und öffnete, merkte ich direkt, dass die sich toll anfühlen“, erzählt Monika Meier, Geschäftsführerin der NeptuGmbH. Sie fragte daraufhin ihren Mann, der früher als Professor unter anderem Baustoffkunde lehrte, ob das Material nicht als Dämmstoff verwendet werden könnte. Zunächst unbeeindruckt meinte ihr Mann Richard Meier, dass es schon zu viele vergleichbare Stoffe wie Stroh, Gras oder Wolle gäbe. „Als aber unser Freund, der uns am Strand begleitete, meinte, dass die Neptunbälle ja nicht mal zum Kamin anzünden taugen, wurde mein Mann hellhörig“, erläutert Meier.

Neptunbälle als Dämmstoff

Eine Plausibilitätsprüfung vom Fraunhofer IBP in Stuttgart ergab, dass die Neptunbälle nicht nur schwer entflammbar sind, sondern sich allgemein sehr gut als Dämmstoff eignen.

„Die Fasern der Bälle verrotten nicht, obwohl es ein organisches Material ist. Sie sind besonders effektiv für den sommerlichen Wärmeschutz“, sagt Meier.

Monika Meier, Geschäftsführerin NeptuGmbH

NeptuTherm benötigt keine Zusätze. Es genügt, die Neptunbälle zu entwirren und zu säubern. Die übrigbleibende Wolle kann direkt verarbeitet werden. Besonders bei der Entsorgung zeigt sich der Vorteil gegenüber mineralischen Dämmstoffen wie Styropor, Perlit oder Glaswolle. Die herkömmlichen Materialien zählen als Sondermüll. NeptuTherm kann hingegen einfach in die Mülltonne geworfen werden. „Zudem ist beim Hantieren mit einigen dieser Stoffe eine Schutzkleidung notwendig, weil der Kontakt schädlich für die Gesundheit ist“, ergänzt Monika Meier.

Seegras wird für die Dämmung eines Hauses verwendet.
Das Seegras wurde in diesem Fall als Dämmung für die Oberste Geschossdecke eingebaut. Foto: NeptuGmbH

Auch wenn der Dämmstoff der NeptuGmbH bisher noch ein Nischenprodukt ist, zeigt es doch deutlich, welche Möglichkeiten im Anbau von Meerespflanzen stecken. Die Ausmaße, die ein solcher Wirtschaftszweig erreichen kann, wird am Beispiel Japan deutlich. Das Land kultiviert dort jährlich 400.000 Tonnen essbare Meeresalgen. Als Meeresprodukt, mit der höchsten Produktionsmenge, stehen Algen dort sogar vor dem Fischfang. In Deutschland sind die Meerespflanzen meistens nur in Verbindung mit Sushi oder anderen asiatischen Gerichten bekannt. Grundsätzlich bietet das Meeresgemüse aber noch viel Potenzial in der Küche.

Algen auf dem Weg zum Grundnahrungsmittel

„Die meisten Fischgerichte lassen sich problemlos nachmachen, indem man den Fisch einfach durch Algen austauscht“, erklärt Xenia Mohr.

Xenia Mohr, Stadtgärtnerin in Nürnberg

Seit 2013 ist Mohr im Stadtpark in Nürnberg aktiv. Dort kocht sie jeden Samstag für die anderen Stadtgärtner. Zusätzlich leitet Mohr einen veganen Kochkurs, in dem die Meerespflanzen schon häufiger auf der Speisekarte standen. „Ein ganz klassisches Rezept, das auch meine Oma machte, waren Heringe eingelegt in einem saure Sahne und Essiggurken Sud. Im Kochkurs haben wir dieses Rezept schon nachgekocht und den Fisch durch die Algen ersetzt. Die Teilnehmer waren begeistert“, verrät Mohr.

Die Verwendung als Fischersatz ist aber nur ein möglicher Anwendungsbereich. Forscher gehen davon aus, dass es weit mehr als 400.000 Algenarten gibt. „Die Unterschiede zwischen den einzelnen Algenarten können so gravierend sein, als würde man Gras, das auf der Wiese wächst, mit Süßgräsern wie Getreide oder Weizen vergleichen“, erläutert Mohr. Die Forschung zu Algen reicht von der Extraktion eines Öles für die Kraftstoffherstellung bis zur Nutzung als Bindemittel in Kläranlagen. Die Vielseitigkeit spiegelt sich auch in den unterschiedlichen Geschmäckern der essbaren Algen wieder. Die frittierte Dulse -eine Rotalge- hat beispielsweise einen leichten Speckgeschmack. Hersteller setzen Algen deswegen in vielen veganen Produkten als natürlichen Geschmacksverstärker ein.

Auch wenn im Moment die wenigsten Haushalte in Deutschland Algen zum Kochen verwenden, steigt das Interesse zunehmend an. „Für die Zukunft kann ich mir gut vorstellen, dass die Ernährung von immer mehr Menschen auf der Welt und die damit verbundenen Herausforderungen, den Algen eine größere Rolle zuspielen wird“, meint Mohr. Diese Annahme könnte so nicht nur für die Algen zutreffen, sondern auch für viele andere Meerespflanzen, deren Potenzial bisher unbekannt ist oder lediglich in einem sehr begrenzten Ausmaß genutzt wird.

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