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„Reine Zahlenwerte bringen keinen Nutzen”

Patrick Matros klettert seit über 30 Jahren und ist seit mehr als zwei Jahrzehnten als Trainer in der Kletterszene tätig. Internationales Ansehen erlangte er unter anderem als Trainer von Alexander Megos, dem die weltweit erste Onsight-Begehung einer Route im Schwierigkeitsgrad 9a gelang. Matros selbst klettert Routen im Grad 8c, seine zehnjährige Tochter gewann 2022 die bayerische Meisterschaft im Sportklettern. In seinem Training setzt er Technik ein, allerdings nur sparsam, denn die Auswertung der Daten nehme viel Zeit in Anspruch, ohne Mehrwert zu bieten. Er unterscheidet zwischen Technologie im Alltag und Hightech. Ein Problem sieht er in der fehlenden Vergleichbarkeit von Daten, denn die Geräte könnten immer nur einen Aspekt abbilden.

Ein Gastbeitrag von Philipp Ebnet

Welche Aspekte sind wichtig beim Klettern?

Es geht darum, möglichst effizient zu klettern. Dabei spielen, je nach Route und Neigung der Wand, verschiedene Aspekte eine Rolle. Am Anfang ist es immer gut, erstmal auf die Füße zu achten und weniger über Kraft zu klettern. Dazu kommen die Beweglichkeit und die richtigen Bewegungen, also etwa das richtige Eindrehen an der Wand. Bei geneigten oder sogar stark überhängenden Routen ist dann natürlich die Kraft ebenfalls ein treibender Faktor. Zusätzlich ist Klettern immer eine Frage der Psyche und mentalen Fähigkeiten. Gerade Hobbysportler brechen Routen oft aus Angst vor Stürzen ab. Im Wettkampfbereich ist die Anpassungsfähigkeit an neue Probleme sehr wichtig, also möglichst schnell die nötigen Bewegungen erkennen und ausführen zu können. Insgesamt ist Klettern also ein Konglomerat aus vielen verschiedenen Faktoren. Daher ist Klettern auch schlecht mit anderen Sportarten vergleichbar, es gibt eben nie den gleichen Zug. Aber genau diese Vielfalt macht auch den Reiz und den Spaß aus. Ich versuche meistens, erstmal den Körper der Menschen lernen zu lassen. Wer viele unterschiedliche Routen klettert, lernt auch viele unterschiedliche Bewegungen kennen. Das Ziel ist es, an den Punkt zu kommen, an dem der Körper diese Bewegungen von selbst abruft. Natürlich hilft es aber, diese Informationen zu strukturieren und darüber zu reden.

Beim Klettern gibt es verschiedene Griffarten, einige davon kommen in den Hallen und auch am Felsen besonders oft vor. Hier eine kurze Übersicht der häufigsten Griffarten:

Henkel/Jugs
Henkel sind Klettergriffe, die sehr einfach zu greifen sind. Meistens können sie mit der ganzen Hand umfasst werden und haben große Öffnungen für die Finger.

Sloper
Klettergriffe ohne Kanten heißen Sloper. Bei diesen abgerundeten Griffen müssen die Sportler:innen vor allem über die Reibung der Haut am Griff Halt finden.

Leisten/Crimps
Leisten sind sehr kleine Griffe, auf denen meistens nur die Fingerspitzen platziert werden können. Für diese Griffe ist Fingerkraft wichtig.

Pockets
Pockets oder Fingerlöcher kommen vor allem am Felsen häufig vor. Diese Griffe bieten, je nach Größe, nur Platz für einzelne Finger.

Spray Walls
Spray Walls sind Kletterwände, an denen viele Griffe und Tritte in unterschiedlichen Größen und Formen platziert werden. An Spray Walls gibt es keine festen Routen, stattdessen entscheiden die Sportler:innen selbst, wie sie welche Griffe miteinander kombinieren. Im Normalfall sind die Wände geneigt und eignen sich aufgrund der vielen unterschiedlichen Griffarten auf kleinem Raum sehr gut zum Training.

Welche Technologien im Klettersport kennst du?

Ich würde hier grundsätzlich zwischen zwei Bereichen unterscheiden: ganz normale Technologie im Sport und Hightech. Unter normale Technologie fällt für mich etwa das Design von Griffen, Kletterwänden oder Trainingsgeräten. Bei einem Felsen gibt es klare Grenzen, die ich beim Griffdesign nicht habe. Ich werde nie einen Stein finden, der an einer Stelle total rau und an anderer Stelle total glatt ist, bei Griffen ist das machbar. Es gibt mittlerweile so viele Griffhersteller, dass die Auswahl nahezu unüberschaubar ist. Kunstgriffe sind in allen verschiedenen Formen und Materialien erhältlich. Das ist im Wettkampfbereich insofern eine Hürde, als dass es für die Vorbereitung wichtig ist, viele verschiedene Griffe für das Training zu kaufen. Das geht schnell in hohe fünfstellige Beträge. Bei Wänden hat sich nicht so viel getan. In vielen Hallen erleben Spray Walls eine Renaissance. Die Wandformen selbst sind etwas dreidimensionaler geworden, aber viel hat sich nicht getan in dem Bereich. Modernes Indoor-Klettern findet wieder mehr an leicht bis mäßig überhängenden plattigen Wandstrukturen statt, die dann mit großen Volumen dreidimensional gestaltet werden. Horizontale Wände sind wieder seltener geworden. Im Trainingsbereich hat sich ebenfalls wenig getan, zumindest bei den einfachen Geräten. Klar, es gibt Griffbretter mit variierenden Formen, aber es entstanden keine wirklichen Neuheiten.

Und im Bereich Hightech?

Da ging richtig die Post ab. Das bekannteste Beispiel dürfte wohl das Kilterboard sein, mittlerweile braucht eigentlich jede Halle so ein Board. Das ist im Endeffekt eine Spray Wall mit beleuchteten Griffen, dazu gibt es eine App, über die jeder verschiedene Boulder aufrufen, ausprobieren und darüber diskutieren kann. Das ist ähnlich wie das Training an den Spray Walls vor 20 Jahren, nur schöner aufgemacht und super vernetzt. Im Bereich des sensorbasierten Trainings gab es ebenfalls jede Menge Entwicklungen. Wir können mittlerweile die Fingerkraft über Bimetallsensoren messen und mit Apps auswerten, damit lässt sich dann vergleichen, wie gut die eigene Fingerkraft für den jeweiligen Klettergrad ist. Das wird zum Beispiel bei einigen Fingerboards eingesetzt. Dann kann ich natürlich die Herzrate oder die Sauerstoffsättigung in den Armen messen. Außerdem benutzt jeder Trainer Videos zur Bewegungsanalyse. Ich selbst benutze in meinen Trainings die Messung der Fingerkraft, Videoanalysen und ein spezielles Campusboard, einen Prototyp der ETH Zürich. Damit kann ich sehen, welche Hand wie viel Kraft aufbringt, das ist etwa bei Hangelbewegungen sehr nützlich, um zu erkennen, wie viel Kraft der Oberkörper benötigt. Es gibt auch Klettergriffe, die über verbaute Sensoren die Kraftaufwendung direkt messen können.

Wie hilfreich sind diese Technologien?

Verkaufen lässt sich prinzipiell alles, mit Zahlen zu beeindrucken ist einfach, aber reine Zahlenwerte bringen, vor allem für Anfänger, keinen Nutzen. Amateure profitieren am meisten von technischen Analysemethoden, ich würde aber immer mit der Videoanalyse anfangen. Da sieht sich der Kletterer selbst, das ist wichtig für das eigene Gehirn, denn so hat derjenige eine Vorstellung von sich und seinen Bewegungen. Das kann schon auch mal ein überraschender Moment für den Betroffenen sein, hilft aber dadurch, weil es im Gedächtnis bleibt. Sensorbasierte Kraftmessungen finde ich für Anfänger nicht geeignet, weil sie aufs falsche Gleis gebracht werden. So könnte jemand denken, er brauche mehr Kraft, um besser zu klettern, obwohl es an der Technik scheitert. Im schlimmsten Fall wird dann falsch trainiert. Im Bereich der Fortgeschrittenen macht eine Messung schon eher Sinn, aber ich würde das aus funktionaler Perspektive betrachten. Um zu sehen, ob bestimmte Muskelgruppen noch gezielt angesprochen werden müssen, beispielsweise. Allerdings ist die Einfachheit der Anwendung noch ein Problem. Bei der Messung der Fingerkraft brauche ich etwa eine valide und reliable Anweisung, wie an dem Griff gezogen werden soll. Es ist ein Unterschied, ob ich gerade nach unten ziehe oder um 90° verdreht, deswegen achte ich in meinen Trainingseinheiten darauf, dass ich den Rumpf der Athleten fixiere und das Gerät so befestige, dass es sich nur auf einer Ebene bewegen lässt. Damit ist es allerdings nicht mehr ortsunabhängig verwendbar.

„Beim Klettern geht es viel um Kreativität, das kann keine App befriedigend abbilden.”

Andere Sensoren messen einfach noch zu ungenau, etwa bei der Sauerstoffsättigung der Muskeln. Es ist zwar spannend zu sehen, wie schnell die Sauerstoffsättigung wieder zunimmt, aber zu ungenau, um Vergleichswerte zu erhalten. Es gibt Sensoren, die genau genug messen, die kosten aber im fünfstelligen Bereich, das ist einfach nicht rentabel. Ein weiteres Problem ist die Dauer, bis ich die Daten ausgewertet habe. Wenn ich mit Athleten trainiere, kommen die zu mir und wollen wissen, was sie besser machen können. Bis ich die Daten ausgewertet habe, sind die schon wieder an der Wand und probieren andere Bewegungen aus. Außerdem stellt sich immer die Frage, welche Informationen mir die Daten liefern. Zum Beispiel bei den Kraftsensoren an Griffen: Jede Route hat viele Griffe, die noch dazu unterschiedlich genutzt werden. Da erhalten wir also Unmengen an Daten und dann ist die Frage, wie ich die vernünftig interpretieren kann. Nur weil jemand einen Griff anders benutzt als die anderen Sportler, sagt das ja nichts über seine Kletterfähigkeiten aus, das ist nur einer von vielen Faktoren. Wichtig ist, dass er die Route geschafft hat. Naja, und der Preis der Geräte ist ein Hindernis. Wenn ein Gerät 20.000 Euro kostet und dann analysiert, dass die Hüfte näher zur Wand muss, stellt sich jeder Trainer die Frage, warum er das kaufen sollte, denn das sieht jeder auch ohne gemessene Daten. Ich selbst nutze derzeit Videos, die ich mit verschiedener Software auswerte. Eine Frage bei der Verwendung von Sensoren ist auch immer, wie diese am Körper angebracht werden. Kein Athlet will Sensoren auf den Körper geklebt bekommen, die stören nur beim Bouldern. Da müssen einfach Trainer und Athleten selbst entscheiden, welche Daten sie als wichtig erachten.

Wie ist die Einstellung in der Kletterszene zur Verwendung von Technologie?

Grundsätzlich ist in der Kletterszene schon eine Bereitschaft zur Verwendung von Technologie vorhanden. Klar, Klettern, vor allem am Felsen, hat viel mit Natursehnsucht zu tun, aber trotzdem haben alle ihr Handy in der Hand und suchen online nach Informationen zu den Routen. Das mache ich ja auch. Klettern ist ein eher egoistischer Sport, es geht um dich und deine Route, daher nutzen viele nur das, was sie unbedingt brauchen. Die App, die einen Wert ausspuckt, der mir in dem Moment nicht weiterhilft, gehört da eben nicht dazu. Ich fürchte, da wird es in absehbarer Zeit auch nichts geben. Viele der Menschen, die in dieser Richtung forschen, haben den Spirit des Kletterns nicht verstanden. Beim Klettern geht es viel um Kreativität, das kann keine App befriedigend abbilden. Wichtig ist immer eine pragmatische Sicht und die Frage, was mir die Technik genau bringt, die Leute wollen schnell konkrete Informationen. Außerdem ist die Vergleichbarkeit und die Standardisierung ein Problem, für das ich derzeit keine Lösung sehe. Ein Läufer kann seine Geschwindigkeiten tracken und mit anderen Menschen vergleichen, ein Kletterer kann das in der Form nicht. Die Schwierigkeitsgrade der Routen sind im Endeffekt Meinungen und Konsensurteile. Was in einer Boulderhalle als schwer gilt, muss in anderen Hallen nicht als anspruchsvolle Route gelten, das ist alles subjektiv. Variablen wie die Herzfrequenz schaue ich mir beim Klettern gar nicht an, die sind doch auch nicht sinnvoll. Eine Datenbank der Routen ist nützlich, aber die gibt es bereits und die hat im Endeffekt alle wichtigen Funktionen.

Welche Technologie würdest du dir noch wünschen?

Was in meinen Augen einen wirklichen Fortschritt darstellen könnte, wäre ein Sleeve, der die Sauerstoffsättigung im Unterarm misst. Also ein Gerät, das nicht stört und während dem Klettern Daten ausgibt, die mir, gekoppelt mit einer App, genaue und sinnvolle Informationen liefern. Darüber könnte ich schnell und leicht Aussagen ableiten, woran ich arbeiten muss, etwa in einer Ausdauerroute. Gepaart mit gemessenen Kontaktzeiten an Griffen und einer grafischen Analyse dieser Werte, wäre das ein wirklich sinnvolles Gerät.

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