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Zero-Genuss – Zuckerloser Zungenschmaus

Fast 125 Liter zuckerhaltige Softdrinks konsumieren die Deutschen pro Jahr. Das ist beinahe eine gefüllte Badewanne. Ganz oben auf der Beliebtheitsskala stehen Limonaden, gefolgt von Cola und Cola- Mischgetränken – wohlgemerkt in der „normalen“ Version mit vollem Zuckergehalt. In der Regel enthält Cola etwa 10,6 g Zucker pro 100 ml. Eine 0,5l Flasche enthält demnach mehr als 50 g Zucker, also über 12 Teelöffel. Eine einzige Dose Cola in dieser Größe ist laut Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung also bereits mehr als die tägliche Zuckermenge eines Erwachsenen.

Ein Beitrag von Annika Schüller

Stoppt den Zuckerschock – Zeit für eine Zuckersteuer?

Foto: Annika Schüller

In einigen Ländern wie Belgien, Finnland und Frankreich gibt es sie bereits, in Deutschland wird noch diskutiert: die Zuckersteuer. Im Gespräch war bereits eine gestaffelte Abgabe von 21 bis 27 Cent pro Liter, sobald in 100 ml Getränk mehr als fünf Gramm Zucker enthalten sind. In Großbritannien sei die Steuer hilfreich, sagt Ernährungsexpertin Mhairi Brown, Sprecherin der Organisation „Action on Sugar“, eine britische Wohltätigkeitsorganisation, die darauf abzielt, den Zuckerkonsum in der Bevölkerung zu reduzieren. „Sie stellt für die Getränkehersteller einen großen Anreiz dar, den Zuckergehalt zu reduzieren, um die Steuer zu vermeiden.“ Auch die WHO empfiehlt eine 20-prozentige Zuckersteuer – sie könnte 240.000 Fälle von Typ-2-Diabetes verhindern und 16 Milliarden Euro an Kosten einsparen, davon vier Milliarden im Gesundheitssystem.

Doch während die einen fordern, warnen Gegner vor finanziellen Belastungen für Verbraucher. Die Debatte ist jedoch vielschichtiger als bloße Kostenfragen: Bundesländer wie Brandenburg und Bremen fordern die Bundesregierung auf, eine Zuckersteuer für Erfrischungsgetränke zu prüfen, da freiwillige Reduktionsversuche der Industrie bislang nicht ausreichen. Wissenschaftliche Studien sollen belegen, dass eine Steuer gesundheitliche Vorteile bringt – doch genau hier setzen die Gegner an. Britische Untersuchungen zeigten lediglich einen minimalen Rückgang der Adipositasfälle bei Kindern, während andere Studien methodische Schwächen aufweisen. Während weiter diskutiert wird, bleibt die Frage: Würde eine Zuckersteuer wirklich für schlankere Bürger diskutiert oder nur für leichtere Geldbörsen?

Zuckerfreie Alternativen: Von der Idee zum fertigen Produkt

Bereits 1952 kam die sogenannte „No-Cal-Soda“-Limonade auf den Markt, welche ursprünglich für Diabetiker entwickelt wurde. Heute boomt der Fitnessmarkt: Einige Anbieter werben mit zuckerfreiem Sirup zum Anmischen mit Wasser.

Doch was genau bedeutet „Zero“?
„Es wird bei Zero-Getränken immer von Süßstoffgetränken gesprochen, das ist aber so nicht korrekt“, erklärt Roland Kerpes, Arbeitsgruppenleiter der Getränke- und Getreidebiotechnologie an der Technischen Universität München. Konsumierende, die vollständig auf Zucker verzichten möchten, sollten sich bewusst sein, dass der Begriff „Zero Sugar“ lediglich garantiert, dass pro 100 Milliliter Getränk maximal 0,5 Gramm Zucker enthalten sind. Zudem dürfen bei Produkten mit der Kennzeichnung „Zero“ pro 100 Milliliter maximal 4 Kalorien, also etwa 1 g Zucker, enthalten sein. Der vollständige Verzicht auf Zucker ist damit nicht zwingend gewährleistet.

Der Herstellungsprozess von Zero-Getränken verläuft grundsätzlich ähnlich wie bei klassischen Getränken. Ein Zero-Getränk sieht seinem zuckerhaltigen Pendant täuschend ähnlich – doch hinter der Rezeptur steckt viel Wissenschaft. „Die Kunst liegt darin, eine angenehme Süße zu erzielen“, erklärt Roland Kerpes. Dabei spielen Geschmack, Stabilität und Kosten eine entscheidende Rolle. Süßungsmittel sind das Herzstück der Zero-Getränke. Doch die Wahl des richtigen Süßungsmittels ist knifflig. „Wir kombinieren verschiedene Süßungsmittel, um die Nachteile einzelner Stoffe auszugleichen“, so Roland Kerpes. In Deutschland dominieren Acesulfam-K, Aspartam, Saccharin, Sucralose und Cyclamat – synthetische Süßstoffe, die durch chemische Prozesse entstehen. Stevia gilt als natürliche Alternative, wird aber ebenfalls industriell verarbeitet.

Ein häufiges Problem sind Off-Flavors – unerwünschte Geschmacksabweichungen. Roland Kerpes sagt: „Cyclamat kann zum Beispiel ab einer gewissen Konzentration einen metallischen Nachgeschmack hinterlassen.“ Diese Fehlnoten entstehen durch chemische Reaktionen oder Umwelteinflüsse. Interessanterweise gibt es Menschen, die diesen Geschmack sogar bevorzugen: „Manche trinken bewusst Cola Light oder mit Süßstoff gesüßten Kaffee, weil sie diesen metallischen Nachgeschmack gewohnt sind und angenehm finden“, erklärt Prof. Dr. Ralf Schweiggert, Institutsleiter für Getränkeforschung an der Hochschule Geisenheim.

Schon gewusst?
Ein interessanter Exkurs zu Limonaden: Enthält eine Zitronenlimonade echten Zitronensaft, darf eine aufgeschnittene Frucht auf der Verpackung dargestellt werden. Besteht der Geschmack jedoch ausschließlich aus Zitronenaroma – was geschmacklich kaum auffällt –, darf nur eine ganze, geschlossene Frucht abgebildet werden.

Die Forschung entwickelt stetig neue Süßstoffe, doch deren Markteintritt ist schwierig. „Ohne E-Nummer kein Einsatz im Getränk“, erklärt Kerpes. E-Nummern sind Codes für zugelassene Lebensmittelzusatzstoffe in der Europäischen Union. Der bürokratische Prozess ist teuer und langwierig – und stoppt viele Innovationen, bevor sie überhaupt in Getränken landen.

Gesunde Süße aus der Natur – Diskussionen um Stevia

Blätter der Steviaplfanze Foto: Designed by Freepik

Steviablätter gelten in der EU als sogenanntes Novel Food und dürfen, mit Ausnahme von Tees, nicht als Lebensmittel verwendet werden. Novel Food bezeichnet Lebensmittel oder Zutaten, die in der EU vor dem 15. Mai 1997 nicht in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet wurden und daher einer besonderen Sicherheitsprüfung und Zulassung bedürfen. Stattdessen werden aus der Pflanze durch ein mehrstufiges chemisches Verfahren Steviolglycosidegewonnen, die gesetzliche Reinheitsanforderungen erfüllen müssen. Trotz ihres pflanzlichen Ursprungs haben sie mit Natürlichkeit nicht mehr viel zu tun. Anfangs wurde Stevia als gesunde Zuckeralternative gefeiert – ein Hoffnungsträger im Kampf gegen Diabetes und übermäßigen Zuckerkonsum. Doch die Realität sieht anders aus: Zwar liefert der Süßstoff keine Kalorien, doch sein lakritzartiger Beigeschmack und die langsam einsetzende Süße machen ihn als Zuckerersatz nur bedingt tauglich. Deshalb wird Stevia meist mit anderen Süßstoffen wie Sucralose, Acesulfam-K oder Aspartam kombiniert.

Während Steviablätter in Lebensmitteln nicht zugelassen sind, umgehen Händler die Vorschriften kreativ: Im Internet, Reformhäusern und Naturkostläden werden sie als kosmetische Mittel, Badezusätze oder einfach als Steviakraut verkauft – oft zusammen mit Stevia-Kochbüchern, um einen Zusammenhang mit Lebensmitteln zu sugerrieren.

Was bedeutet das für Verbraucher*innen?

Wer Stevia nutzt, sollte die empfohlene Höchstmenge von 4 mg pro Kilogramm Körpergewicht nicht überschreiten. Zudem sind Steviolglycoside oft teurer als Zucker oder andere Süßstoffe, ihr langer Transportweg belastet das Klima, und nicht zuletzt fördert ihr Einsatz die Gewöhnung an süßen Geschmack – ganz ohne Kalorien, aber nicht ohne Folgen.

„Der Süßstoff hat einen sogenannten Afterglow, das heißt, Süßrezeptoren glühen lange nach“, erklärt Ralf Schweiggert. Das sei unnatürlich. Der süße Geschmack bleibe noch auf der Zunge, obwohl das Getränk bereits geschluckt wurde.

„Geschmack entsteht nicht nur auf der Zunge“

Mit diesem Slogan wirbt die Marke Air-Up. Hierbei handelt es sich um ein innovatives Trinksystem, das Wasser durch Duft aromatisiert, ohne dem Wasser selbst Zusätze beizumischen. Aufsetzbare Pods enthalten Duftstoffe. Dem Gehirn des Konsumenten wird also vorgetäuscht, Wasser mit Geschmack zu trinken. Jessica Freiherr, Ernährungswissenschaftlerin an der FAU Erlangen, erklärt: „Auf der Zunge schmecken wir nur süß, sauer, salzig, bitter und umami.“ Umami ist ein japanisches Wort, das auf Deutsch so viel wie „köstlich“ bedeutet. Es gilt neben dem süßen, sauren, salzigen und bitteren Geschmack als fünfte Geschmacksrichtung. Alle anderen Eindrücke werden durch das Riechen gewonnen. „Kaffeeeindruck wird beispielsweise über die Nase vermittelt. Es gibt also keinen Kaffeegeschmack, es gibt nur Kaffeegeruch“, sagt Jessica Freiherr.

Air-Up nutzt setzt bei seinen Produkten auf das Prinzip des retronasalen Riechens. Dieses erfolgt aus dem Mundraum, während orthonasales Riechen durch die Nase geschieht. „Beim Kauen oder Trinken strömt die Luft aus dem Mund über das Gaumensegel in den Nasenrachenraum, wo Aromen erneut wahrgenommen werden. Dadurch wird alles, was sich im Mund befindet, nicht nur geschmeckt, sondern auch gerochen“, erklärt Jessica Freiherr. Hals-Nasen-Ohren-Ärzte schätzen, dass rund 90 Prozent der Sinneseindrücke während des Essens ausschließlich von Geruchssignalen stammen.

Null Zucker, volle Gesundheit? Experten klären auf!

Auf die Frage, ob Zero-Getränke gesundheitsschädlich sind, gibt es kein konkretes „Ja“ oder „Nein“. „Grundsätzlich ist der Zuckerkonsum in Deutschland wahnsinnig hoch, die Deutschen werden dick und krank“, warnt Roland Kerpes. Bis 2020 ist der Großteil des klassischen Zuckers noch in die Getränkeindustrie geflossen. Mittlerweile sieht man aufgrund dieser Zuckerreduktionsstrategien ein Rückgang. Zero-Getränke bilden eine signifikante Nische, die sich wachsendem Zuwachs und auch Umsatz erfreut. Experten raten jedoch ab, Kinder schon in jungem Alter an süße Getränke zu gewöhnen.

 „Vor dem Sport kann ein zuckerhaltiges Getränk sogar sinnvoll sein“, so Fabian Kölbel, Ernährungsberater. Zugeführte Energie kann sofort verstoffwechselt werden. Schaut man sich jedoch die Gesamtbevölkerung an, wird eines schnell klar: Flüssige Kalorien haben einen erheblichen Einfluss auf die tägliche Energieaufnahme. „Ich würde trotzdem immer zu Alternativen wie Tees greifen oder das Wasser beispielsweise mit Zitrone, Ingwer oder Beeren aufpeppen“, empfiehlt Fabian Kölbel.

„Aspartam ist einer der bestuntersuchten Lebensmittelzusatzstoffe und laut EU sowie der Europäischen Lebensmittelbehörde sicher“, so Ralf Schweiggert. Zwar hat die Weltgesundheitsorganisation  den Stoff 2023 als „möglich krebserregend“ eingestuft, doch diese Bewertung basiert auf extrem hohen Mengen innerhalb kürzester Zeit in Tierversuchen – weit entfernt von der tatsächlichen Aufnahme durch den Menschen. „Wer täglich eine Diet Coke trinkt, nimmt nur eine winzige Menge auf – völlig unbedenklich“, erklärt der Experte. Das Problem: Solche Studienergebnisse werden oft verkürzt dargestellt, was zu Panikmache führt.

Süße Zukunft?

Seit Mai 2024 erlaubt die Europäische Union nun auch die Herstellung von zuckerfreien und zuckerreduzierten Fruchtsäften. Künftig wird es möglich sein, den Zucker aus Fruchtsäften wie Orangensaft zu entfernen. Diese Technologie war bisher nicht zulässig. Doch nun wird die Möglichkeit, den Zucker zu extrahieren, aktiv erforscht. Durch Verfahren wie enzymatische Spaltung und Membranfiltration können Hersteller den Zuckergehalt senken, ohne den natürlichen Geschmack stark zu verändern. „Wir arbeiten intensiv an diesem Thema und entwickeln im Rahmen von Forschungsprojekten, speziell im Bereich Zero-Produkte, Getränke, die weniger Zucker enthalten, aber trotzdem gut schmecken – eine Herausforderung, denn der Geschmack muss natürlich genauso überzeugen“, erklärt Ralf Schweiggert.

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