25. Juli 2025
„It takes a village. Keiner kann alles machen“ – im Gespräch mit Eileen Pauels über Proteinforschung
Dieser Artikel ist die Fortsetzung einer Gesprächsreihe zum Thema alternative Proteine. Bereits letzte Woche, am 18. Juli, ist das erste Interview mit Julian Schildknecht erschienen. Das Good Food Institute Europe (GFI) ist eine internationale NGO, die sich für die Förderung alternativer Proteine einsetzt. Ziel ist es, ein nachhaltiges, sicheres und gerechtes Ernährungssystem zu schaffen. Als Koordinatorin für die wissenschaftliche Gemeinschaft in Deutschland, Österreich und der Schweiz arbeitet Eileen Pauels daran, die Forschung und Zusammenarbeit in dem Bereich voranzutreiben.
Ein Gastbeitrag von Franziska Raab
Eileen Pauels fördert den Ausbau der wissenschaftlichen Community für alternative Proteine in der DACH-Region. Ihr Fokus liegt auf der Vernetzung von Forschenden, Studierenden und Lehrkräften, dem Wissenstransfer sowie der Schaffung von Karrieremöglichkeiten. Mit ihrem Hintergrund in Psychologie, Verhaltenswissenschaften sowie Bildung und Forschung unterstützt sie den Aufbau eines dynamischen Forschungs- und Ausbildungssystems. Sie glaubt daran, dass die Mission des GFIs der Weg zu einer nachhaltigeren und sicheren Zukunft für alle ist.
Welche Rolle spielt die Biotechnologie in Bezug auf alternative Proteine in den kommenden Jahren?
Pauels: Für die Biotechnologie wird es eine zentrale Rolle geben, wenn es darum geht, alternative Proteine zu einer echten Alternative zu herkömmlichem Fleisch zu machen. Die Forschung und Publikationen in dem Bereich nehmen zu, insbesondere bei Präzisionsfermentation und kultiviertem Fleisch. Die konventionelle Fleischproduktion verursacht erhebliche Umweltprobleme wie Treibhausgasemissionen und hohen Land- und Wasserverbrauch. Biotechnologische Verfahren wie Fermentation können helfen, nachhaltige Produkte zu erzeugen, die den Geschmack und die Textur von tierischem Fleisch nachahmen. Ein weiterer Aspekt der Biotechnologie ist die Nachhaltigkeit. Erfreulich ist, dass einige Unternehmen ihre eigenen Lebenszyklusanalysen gemacht haben. Zum Beispiel zeigt die Analyse von Perfect Day zu ihrem Molkenprotein, dass 97 % weniger Treibhausgase verursacht werden. Auch bei kultiviertem Fleisch, was zwar noch in den Kinderschuhen steckt, können beeindruckende Zahlen erreicht werden.
Interessenverbände wie die Biotechnologie-Organisation BIO Deutschland sehen Biotechnologie als „wesentlichen Treiber für Innovation und wirtschaftliches Wachstum“ sowie als „eine strategisch
bedeutsame Schlüsselindustrie, die Lösungen für drängende Herausforderungen generiert“ und fordern mehr politische Unterstützung oder sogar, die Biotechnologie als Schlüsselindustrie im Kanzleramt zu verankern. Was wünschen Sie sich von politischen Entscheidungsträgern?
Pauels: Oh, der Wunschzettel ist lang – und wichtig. Besonders bedeutend für die Biotechnologie ist die Infrastruktur. In Europa gibt es zwar viel biotechnologische Expertise, aber es fehlt an spezifischer Infrastruktur für die Lebensmittelbranche, insbesondere für die Fermentation. Sie muss in der Lage sein, die benötigte Menge an Proteine zu liefern, um die Menschen in Europa zu versorgen. Die auch die Standards der Branche erfüllt und nicht, wie es im Moment der Fall ist, so sehr auf den pharmazeutischen Bereich ausgerichtet ist. Im Zweifelsfall kommen viele Innovationen von Start-ups, die oft wirtschaftlich noch nicht mithalten können.
Daher sind öffentliche Investitionen und verschiedene Fördermittel für unterschiedlich große Projekte notwendig. In meiner Rolle bei GFI spreche ich viel mit Forschenden und die haben viele tolle Ideen, aber es braucht unterschiedliche Fördermittel diese umzusetzen. In Deutschland wird bereits viel investiert, aber es braucht mehr Angebote, damit sich nicht alle auf dieselben Fördermittel bewerben. Das andere große Thema ist sicherlich auch auf europäischer Ebene die Regulierung. Die EFSA sorgt für ein sicheres Regulierungssystem, aber die Zulassungsverfahren müssen zuverlässiger, transparenter und effizienter werden.
Diese Prozesse dauern momentan noch sehr lange, sodass Start-ups sich umorientieren müssen oder in andere Märkte abwandern. Die Politik kann helfen, diese Verfahren zu verbessern und fairen Wettbewerb zu schaffen, indem die gleiche Besteuerung für alternative Fleischprodukte zugelassen wird.
Wie sehen Sie die Zukunft von kultiviertem Fleisch als Alternative zu herkömmlichem Fleisch?
Pauels: Wir sprechen nicht davon, traditionelles Fleisch zu ersetzen. Um die größten gesellschaftlichen Probleme zu lösen, müssen wir unser Ernährungssystem und unsere Proteinversorgung diversifizieren. In den kommenden Jahren werden pflanzenbasierte Alternativen und Fermentationstechnologien weiterhin erstmal die größere Rolle spielen.
Wir sehen auch, dass kultiviertes Fleisch zunächst als Zutat verwendet wird, um pflanzliche Produkte zu verbessern. Ein Beispiel ist Mosa Meat, das den Zulassungsprozess für kultiviertes Rinderfett gestartet hat, um es mit pflanzlichen Zutaten zu mischen und es so als Geschmacksträger zu verwenden. In der Praxis werden wir unterschiedliche Methoden kombinieren, um die besten Produkte zu entwickeln. Verbraucher:innen möchten und können selbst entscheiden, welche Produkte sie bevorzugen. Eine Umfrage von YouGov zeigt, dass viele Menschen offen für kultiviertes Fleisch sind, wenn es verfügbar wäre.
Woher kommt diese Offenheit?
Pauels: Diese Offenheit resultiert auch daraus, dass viele Menschen ihren Fleischkonsum reduzieren möchten – aus den unterschiedlichsten Gründen. Dabei kann kultiviertes Fleisch helfen, aber auch andere Technologien und alternative Proteine, um wieder andere Menschen abzuholen. Ich denke, wir müssen die Leute auch ernst nehmen. Wir müssen in den Diskurs gehen und es gibt tolle Projekte, die die Menschen mit der Wissenschaft zusammenbringen.
Kuhmilchkäse ist sehr beliebt, Verbraucher orientieren sich an Geschmack und artgerechter Tierhaltung. Die negativen Klimafolgen der Milchviehhaltung sind eher unbekannt und fast zwangsläufig pflanzenbasierte Käsealternativen oder die Präzisionsfermentation als lebensmitteltechnologisches Verfahren. Das ist das Ergebnis einer Verbraucherstudie von Forschenden der Universität Göttingen aus dem Jahr 2024. Welche Herausforderungen sehen Sie bei der Kommunikation der Vorteile alternativer Proteine?
Pauels: Viele Unternehmen haben großartige Produkte, aber oft erreichen diese nicht die breite Masse, weil sie nicht ausreichend sichtbar sind. Das ist immer ein bisschen schade. Man spricht ja auch so schön von der Informationsökonomie. Das Hauptproblem sind Fehlinformationen und Missverständnisse. Gerade wenn es um ernährungsbezogene Informationen und Nachhaltigkeit geht. Diese verunsichern die Verbraucher:innen und das verstehe ich auch. Daher ist es wichtig, Zugänge zu schaffen und Experten sprechen zu lassen.
Das GFI unterstützt den Bereich der Bildung durch Seminare und Kurse. Wie möchten Sie die Allgemeinheit ansprechen?
Pauels: Das Ernährungssystem betrifft uns alle, und was wir jeden Tag essen und im Supermarkt finden können, betrifft uns ebenfalls. Unser Fokus liegt auf der Vermittlung von Fachwissen, dem Verbinden von Netzwerken und der Talentförderung. Das heißt, er ist sehr spezialisiert.
Was die noch breitere Masse angeht, gibt es viele andere Organisationen, wie Proveg, die die Konsumentenperspektive immer im Blick haben und tolle Öffentlichkeitsarbeit leisten. Die Lücke, die wir als GFI schließen wollen, ist es Expert:innen, Wissenschaftler:innen und Politiker:innen zu unterstützen, um faire, nachhaltige Lösungen zu entwickeln und die notwendige Infrastruktur zu schaffen. It takes a village. Keiner kann alles machen. Es braucht viele kompetente Menschen, die an unterschiedlichen Stellen arbeiten.
Wie können Landwirt:innen in die Produktion alternativer Proteine eingebunden werden?
Pauels: In meinem Job habe ich tatsächlich kaum direkten Kontakt zu Landwirt:innen, daher kann ich nicht aus eigener Erfahrung sprechen. Dennoch sind sie die Expert:innen, die unsere Ernährung sichern, und auch im Bereich der alternativen Proteine gibt es für sie einen Platz. Projekte wie Respectfarms zeigen, wie Landwirt:innen in die Produktionsketten für kultiviertes Fleisch eingebunden werden können.
Es ist entscheidend, dass sie nicht allein gelassen werden und Unterstützung erhalten, um zu wissen, was sie anbauen und wie sie sich beteiligen können. Aktuelle Studien, wie die der Royal Agricultural University, zeigen, dass kultiviertes Fleisch nicht die primäre Bedrohung für traditionelle Landwirt:innen darstellt. Vielmehr sind es Herausforderungen wie veränderte Wetterbedingungen und steigende Düngemittelkosten, die angegangen werden müssen. Der alternative Proteinsektor braucht die Landwirt:innen, und das ist auch im Sinne vom GFI.
Was hat Sie dazu inspiriert, beim GFI Europe zu arbeiten?
Pauels: Ich bin fest davon überzeugt, dass die großen Herausforderungen systemische Lösungen erfordern, nicht nur das Engagement der Endverbraucher:innen. Nachhaltigkeit im Lebensmittelbereich erreichen wir nur, indem wir nachhaltige Produkte entwickeln und diese für alle erschwinglich machen. Das Gleiche gilt für Ernährungssicherheit. Was mich an alternativen Proteinen fasziniert, ist ihre Fähigkeit, viele Probleme gleichzeitig zu lösen. Das ist selten und macht es so spannend, Teil dieser Gemeinschaft zu sein. Ich habe vorher lange in der Forschung gearbeitet, weil ich der Meinung bin, dass Forschung und Wissensgewinn essenziell dafür sind, dass wir weiterkommen.